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Galerie der Stadt Tuttlingen öffnet mit Ausstellung „Zeittiefe“ von Dietlinde Stengelin


Die Galerie der Stadt Tuttlingen wird voraussichtlich ab dem 8. Juni wieder für das Publikum geöffnet sein. Zu sehen ist die ursprünglich bereits im April vorgesehene Ausstellung „Dietlinde Stengelin – Zeittiefe“ (bis 18. Juli 2021). Die laut Jahresprogramm vorgesehene Ausstellung „Wilhelm Morat – Schwebende Konstellation“ wurde vom Kunstkreis Tuttlingen abgesagt.

Blick in die Ausstellung Zeittiefe von Dietlinde Stengelin

Wer die Ausstellung besuchen möchte, muss symptomfrei sein und hat das Hygienekonzept der Galerie zu beachten, einen offiziellen Test-, Genesenen- oder Impfnachweis vorzulegen und die Kontaktdatenerfassung per Luca-App oder mittels Formular durchzuführen.

Die Schau von Dietlinde Stengelin umfasst Bilder seit 1960, und so deutet sich mit dem Begriff der „Zeittiefe“ die Verknüpfung mit einem bereits über viele Jahrzehnte fortdauernden künstlerischen Schaffen an. Gleichzeitig ist mit „Zeittiefe“ auch der Dialog mit Vergangenem gemeint. Zunächst zeichnete die in Tuttlingen 1940 geborene und aufgewachsene Künstlerin bevorzugt Menschen – wie die ausgestellten Zeichnungen von Familienmitgliedern aus dem Jahre 1960 zeigen. Im Jahr 1959 nahm Dietlinde Stengelin, 19-jährig, an der Internationalen Sommerakademie für Bildende Kunst Salzburg teil. Diese damals noch junge Einrichtung hatte Oskar Kokoschka 1953 als „Schule des Sehens“ gegründet.

Schon früh legte Dietlinde Stengelin mit großformatigen Bildern von großer Ausdruckskraft ein Zeugnis von der erlangten künstlerischen Reife und Eigenständigkeit ab. Im Jahr Ihres Studienabschlusses malte sie etwa das in der Ausstellung präsentierte Gemälde „vor Blau“, 1965. Der für die Künstlerin – auch später noch – typische vielschichtige Aufbau im Übereinander von mehreren gemalten Schichten und collagiertem Papier findet sich bereits in diesen frühen Werken. Eine Hauptrolle in der Wirkkraft der Bilder spielt bei Dietlinde Stengelin unverkennbar die Farbe, die sie ohne Scheu und mit großer Sicherheit einzusetzen weiß.

Dietlinde Stengelin konnte sich bereits im Alter von nur 25 Jahren an der Ausstellung des Baden-Württembergischen Künstlerbundes in Karlsruhe beteiligen. 1966 erhielt sie den renommierten Villa-Romana-Preis, der mit einem 10-monatigen Aufenthalt im gleichnamigen Künstlerhaus in Florenz verbunden war. Beginnend mit ihrer Zeit in Italien trat Dietlinde Stengelin ein in den spannenden Dialog mit Kunstgeschichte und Mythologie. In ihrem thematischen Fokus stehen immer wieder auch Werke der Altmeister. So umfasst die Ausstellung eine 1966 entstandene Serie von Gemälden, die auf die „Venus“ von Tizian Bezug nimmt. Eine viel später entstandene Serie (1997) spielt mit der Berühmtheit von Leonardos „Monalisa“: „Fremde Lisa“, „Monalinde“ und „Der geteilte Weg“ sind die Titel dieser malerischen Reflexionen.

Eine wichtige Quelle der Inspiration ist für Dietlinde Stengelin die Natur. Seit 1979 ist Langenargen am Bodensee ihr Wohnsitz, und das Umfeld von Wasser, Himmel und Topographie ist eine ständige Anregung. Eindrucksvolles Beispiel ist das Diptychon „Feuer und Erde“ und „Luft und Wasser“ (1994), eine Hymne auf die Schöpfung und die vier Elemente. Weiterhin sind viele ihrer Bilder malerische Zwiegespräche mit Figuren aus Mythologie und Christentum. Ob es sich um Eva, Maria, Daphne oder einen Engel handelt, immer sind die vom Umriss her erkennbaren Figuren wie Erinnerungen, die am Verschwinden sind.

Im Spiel von Licht und Dunkel feiert ihre Malerei das Fest der Farben. Für den mit vielen Zwängen konfrontierten modernen Menschen schaffen diese Bilder einen Ausgleich für die unerfüllte Sehnsucht nach Sinnlichkeit, Poesie, Mystik und Freiheit, sie helfen ihm, die zeitlosen Fragen der Existenz in ihrer Ganzheit und rational-wissenschaftlich nicht zu ergründenden Tiefe zu durchdringen.

Zur Ausstellung erschien ein 60 Seiten umfassender Katalog der zu 20 Euro in der Galerie erworben oder per Email an info(at)galerie-tuttlingen.de bestellt werden kann. Außerdem bietet ein neu entstandener Film einen Einblick in das Leben und Schaffen von Dietlinde Stengelin. Dieser ist unter www.galerie-tuttlingen.de/videos abrufbar.

Biografie Dietlinde Stengelin:

  • 1940 geboren in Tuttlingen
  • 1959 Sommerakademie Salzburg bei Oskar Kokoschka
  • 1961-63 Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart
  • 1964 Staatliche Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe – Meisterschülerin
  • 1966 Villa Romana Preis Florenz
  • 1967 Mitglied im Deutschen Künstlerbund
  • 1972 tritt sie in den Schuldienst ein
  • 1973 Gründungsmitglied Kunstkreis Tuttlingen, dem sie bis 2006 als Beirat angehört
  • 1974 heiratet sie Rainer Folwaczny und zieht nach Friedrichshafen
  • 1974-91 Lehrerin am Montfort Gymnasium in Tettnang
  • 1976 Geburt des Sohnes
  • 1979 Umzug nach Langenargen
  • 1994 1. Preis Aesculap AG „Mensch – Medizin – Technik“
  • 1995 1. Preis Diözese Rottenburg-Stuttgart
  • 1999 bezieht sie ein Atelier-Wohnhaus in Langenargen
  • 2001–06 Mitinitiatorin der Produzentengalerie Langenargen
  • Seit 2010 Mitglied im Künstlerbund Baden-Württemberg
  • 2020 Verleihung des Kunstpreises der Ike und Berthold Roland-Stiftung