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Allgemeinverfügung zum Verbot von Veranstaltungen ab 50 Teilnehmern und zur Teilnehmerregistrierung und Meldepflicht von Veranstaltungen unter 50 Teilnehmern anlässlich der Atemwegserkrankung SARS-CoV-2 (Corona-Virus)


Die Stadt Tuttlingen erlässt aufgrund von § 28 Abs.1 Satz 2 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen – Infektionsschutzgesetz (IfSG), § 1 Abs. 6 der Verordnung des Sozialministeriums über Zuständigkeiten nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSGZustV) und § 35 Satz 2 des Landesverwaltungsverfahrens-gesetzes (LVwVfG) für das gesamte Gemarkungsgebiet der Stadt Tuttlingen (inklusive der Teilorte Nendingen, Eßlingen, Möhringen) folgende
 
Allgemeinverfügung:
 
1.    öffentliche und private Veranstaltungen und Versammlungen in geschlossenen Räumen sowie im Freien mit 50 und mehr Teilnehmern werden untersagt.
 
2.    a) bei allen öffentlichen oder privaten Veranstaltungen und Versammlungen in geschlossenen Räumen sowie im Freien mit weniger als 50 Personen, ist der Veranstalter dazu verpflichtet eine Teilnehmerliste mit Name, Adresse und Telefonnummer der Besucher zu führen.
 
b) bei diesen Veranstaltungen, ist der Veranstalter dazu verpflichtet die Veranstaltung eine Woche vor Beginn bei der Stadt Tuttlingen – Fachbereich Bürgerdienste, Sicherheit und Ordnung anzuzeigen. Die Anzeige hat über die auf Homepage der Stadt Tuttlingen bereitgestellte Veranstaltungsmeldung, vollständig ausgefüllt und unterschreiben, zu erfolgen.
Unmittelbar bevorstehende Veranstaltungen bis 20.03.2020 sind sofort anzuzeigen.
 
Für diese Veranstaltungen gilt die Vorgabe, dass ein Abstand von mindestens 2 Metern zwischen den Tischen gewährleistet ist. Stehplätze sind so zu gestalten, dass ein Abstand von mindestens 2 Metern zwischen den Gästen gewährleistet ist. Weiterhin sind die Hygieneregeln des Robert-Koch-Instituts in der jeweils gültigen Fassung anzuwenden.
 
3.    In sämtlichen Verkaufsstellen (Bäckerei, Einzelhandel, Apotheken, etc.) ist ein Mindestabstand von 2 Metern sowohl unter den Kunden untereinander, als auch zum Verkaufspersonal sicherzustellen. Ist dies aufgrund der räumlichen Gegebenheiten nicht möglich, ist der Kundenkontakt so einzurichten, dass der Mindestabstand eingehalten werden kann. Dies kann insbesondere durch eine Beschränkung der Besucherzahl, die sich zur selben Zeit in der Verkaufsstelle befinden, erfolgen.
 
4.    Die Ziffern 1, 2 und 3 dieser Verfügung gelten sinngemäß auch für Diskotheken, Clubs, Tanzlokale, Tanzschulen, Kinos, Schank- und Speisewirtschaften einschließlich der Außengastronomie sowie Trauerfeiern.
 
5.    Der Betrieb folgender Einrichtungen ist verboten:
 
a)    Kultur-, Bildungs- und Sporteinrichtungen jeglicher Art, insbesondere Museen, Theater, Freilichttheater,
b)    Freizeiteinrichtungen und Spielplätze
c)    Schwimm- und Hallenbäder, Saunen
d)    Volkshochschulen und Jugendhäuser
e)    Öffentliche Bibliotheken,
f)     Vergnügungsstätten
g)    Fitness- und Kampfsporteinrichtungen
h)    Messen
i)     Wettannahmestellen
 
 
 
6.    Ausgenommen vom Verbot sind Rehabilitationssport und Physiotherapie, die ärztlich verordnet wurden, jedoch nur für Patienten ohne Infektionsanzeichen.
Die Hygieneregeln des Robert-Koch-Instituts sind in der jeweils gültigen Fassung anzuwenden.
 
7.    Die unter Ziffer 2 genannten Veranstaltungen können im begründeten Einzelfall ebenfalls untersagt werden.
 
8.    Die Anordnungen nach Ziffern 1, 2 und 4 treten mit Bekanntgabe in Kraft und sind zunächst bis einschließlich 30.04.2020 befristet.
 
9.    Diese Verfügung ist kraft Gesetzes sofort vollziehbar.
 
10. Zuwiderhandlungen gegen diese Verordnung stellen eine Straftat dar und können mit Freiheitstrafe bis zu 2 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden (§ 75 Abs. 1 Nr. 1; Abs. 3 IfSG).
 
Begründung:
Rechtsgrundlage für das Verbot von Veranstaltungen mit 50 und mehr Teilnehmern (Ziffer 1), ist § 28 Absatz 1 Satz 2 Infektionsschutzgesetz (IfSG) in Verbindung mit § 1 Absatz 6 der Verordnung des Sozialministeriums über die Zuständigkeiten nach dem IfSG (IfSGZustV) und § 35 Satz 2 des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes (LVwVfG).
Werden Kranke, Krankheitsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Unter diesen Voraussetzungen kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen, die eine Verbreitung von Krankheitserregern begünstigen, beschränken oder verbieten (§ 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG).
 
Das Verbot entsprechender Veranstaltungen ist erforderlich im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG.
Das Virus SARS-CoV-2 breitet sich in Deutschland und Baden-Württemberg immer weiter aus. Mittlerweile sind auch im Landkreis Tuttlingen sowie in der Stadt Tuttlingen Personen infiziert. Hinzukommt, dass südliche Teile des Elsass zwischenzeitlich als Risikogebiet ausgewiesen wurden.
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die zu verbietenden Veranstaltungen ihr Publikum auch weit über die Kreisgrenzen hinaus finden. Ebenso haben die vergangenen Wochen gezeigt, dass eine effektive Bekämpfung des Virus vorausschauende Abwehrmaßnahmen verlangt. Deshalb sind entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Schließlich ist im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung in Ansatz zu bringen, dass die Bevölkerung vor erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit zu schützen ist. Dementsprechend geringere Anforderungen sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu stellen.
 
Es liegt auf der Hand, dass andere Maßnahmen als das ausgesprochene Verbot eine Ausbreitung des Corona-Virus nicht vergleichbar effektiv verhindern mögen. Insbesondere ist es nicht ausreichend, die Veranstaltungen ab 50 Teilnehmern unter Anordnung von Auflagen stattfinden zu lassen, weil die Risiken durch begleitende Maßnahmen (wie z. B. Händedesinfektion) dabei nicht vergleichbar effektiv beseitigt wären. Auch eine Rückverfolgung der Teilnehmer bei einer Veranstaltung ab 50 Teilnehmern seitens des Gesundheitsamtes ist kaum bis gar nicht zu bewältigen. Nach alledem ist die Untersagung der betreffenden Veranstaltungen jedenfalls bis einschließlich 30.04.2020 erforderlich.
 
Das Verbot ist auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Den wirtschaftlichen Einbußen stehen erhebliche gesundheitliche Gefahren bei der unkontrollierten und nicht mehr nachverfolgbaren weiteren Verbreitung des Corona Virus gegenüber. Bei der Abwägung überwiegen unstreitig die Rechtsgüter der körperlichen Unversehrtheit des Einzelnen sowie des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung.
 
Als Rechtsgrundlage für die Auflage von Teilnehmerlisten bei Veranstaltungen mit unter 50 Teilnehmern (Ziffer 2a) kommt § 36 Abs. 2 Nr. 4 LVwVfG in Verbindung mit § 28 Absatz 1 Satz 2 IfSG, § 1 Absatz 6 der IfSGZustV und § 35 Satz 2 LVwVfG in Betracht.
Auch bei Veranstaltungen von unter 50 Teilnehmern ist die Gefahr der Infizierung und Weitergabe des Virus immer noch hoch, weswegen hier die verhältnismäßige Auflage einer Teilnehmerliste in Betracht kommt.
Bei Veranstaltungen unter 50 Teilnehmern ist die Rückverfolgung der Kontakte durch die Teilnehmerlisten einfacher, wodurch rückwirkend alle Kontaktpersonen im Falle eines Infizierten rückverfolgt werden können.
Durch diese Rückverfolgung kann letztendlich eine Verbreitung des Virus verlangsamt oder sogar verhindert werden. Eine Verhältnismäßigkeit des Verbotes von Veranstaltungen unter 50 Personen sehen wir unter aktuellem Stand der Sachlage noch nicht, da dies einer privaten Veranstaltung gleicht. Nach alledem ist die Auflage der betreffenden Veranstaltungen von unter 50 Teilnehmern jedenfalls bis einschließlich 30.04.2020 erforderlich.
 
Die Auflage ist auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Es gibt hier keine wirtschaftlichen Einbußen, es muss lediglich der Aufwand der Passkontrolle sowie des Notierens der Daten betrieben werden. Durch die Identitätsfeststellung kann im Falle einer Infizierung im Nachhinein die Kette der Kontaktpersonen rückverfolgt werden. Dem stehen erhebliche gesundheitliche Gefahren bei der teils unkontrollierten weiteren Verbreitung des Corona Virus gegenüber. Bei der Abwägung überwiegen unstreitig die Rechtsgüter der körperlichen Unversehrtheit des Einzelnen sowie des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung.
 
Als Rechtsgrundlage für die Auflage zur Anzeige von Veranstaltungen mit unter 50 Teilnehmern (Ziffer 2b) kommt § 36 Abs. 2 Nr. 4 LVwVfG in Verbindung mit § 28 Absatz 1 Satz 2 IfSG, § 1 Absatz 6 der IfSGZustV und § 35 Satz 2 LVwVfG in Betracht.
Die Anzeigepflicht ist hierbei ebenfalls wichtig um im Falle eines Infizierten, eine Rückverfolgung der Veranstaltungsteilnehmer durchzuführen. Außerdem wird der Ortspolizeibehörde dadurch ein Überblick über die Veranstaltungen und dem damit einhergehenden erhöhten Risiko der Infektionsgefahr verschafft.
Die mit dieser Allgemeinverfügung angeordnete Meldepflicht ist verhältnismäßig. Sie ist erforderlich und geeignet, um das Risiko einer weiteren Übertragung einzuschränken, ohne dabei das öffentliche Leben gänzlich zum Stillstand zu bringen. Mildere, gleich wirksame Mittel zur Erreichung dieses Zwecks im Zusammenhang mit der Teilnehmerliste sind nicht ersichtlich. Die Allgemeinverfügung ist auch angemessen, da die Einschränkungen durch die Meldepflicht nicht außer Verhältnis zum angestrebten Schutz hochwertiger Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit der Bevölkerung stehen.
Die Veranstaltungsanzeige ist auf der Webseite der Stadt Tuttlingen unter www.tuttlingen.de abrufbar.
Diese Verfügung ist kraft Gesetzes sofort vollziehbar, vgl. § 28 Abs. 3 i. V. m. § 16 Abs. 8 IfSG. Ein etwaiger Widerspruch hat somit keine aufschiebende Wirkung.
 
Bekanntgabe
Diese Allgemeinverfügung wird gemäß § 41 Abs.3 LVwVfG ortsüblich bekannt gemacht, da eine Bekanntgabe an die Beteiligten aufgrund der Sachlage untunlich ist. Nach § 41 Abs.4 Satz 4 LVwVfG gilt die Allgemeinverfügung am Tag nach der ortsüblichen Bekanntmachung als bekannt gegeben.
Die Allgemeinverfügung kann auf der Homepage der Stadt Tuttlingen abgerufen und eingesehen werden.
 
Rechtsbehelfsbelehrung
Gegen diese Verfügung kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe bei der Stadt Tuttlingen, Rathausstraße 1, 78532 Tuttlingen Widerspruch eingelegt werden. Die Frist gilt auch als gewahrt, wenn der Widerspruch rechtzeitig beim Regierungspräsidium Freiburg, Bissierstraße 7 in 79114 Freiburg, eingelegt wird.
 
Das Verwaltungsgericht Freiburg, Habsburgerstraße 103, 79104 Freiburg, kann gemäß § 80 Absatz 5 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig.
 
Tuttlingen, 16.03.2020
 
Michael Beck
Oberbürgermeister