Vorlesen

Fraktionsmitteilung

Haushaltsrede zum Haushaltsplan 2015 der FDP von Herrn Hans-Peter Bensch


Herr Vorsitzender, werte Ratskolleginnen
und -kollegen, meine Damen und Herren,
 
Autofahrern wird immer wieder von Expertenseite empfohlen, zur Verbesserung ihres Fahrvermögens ein Fahrersicherheitstraining durchzuführen. Eine zentrale Übung auf nasser und dadurch rutschiger Fahrbahn ist es, einem plötzlich von außen in die Fahrstrecke geworfenem Schaumstoffwürfel so auszuweichen, dass das Fahrzeug nicht ausbricht und sich dadurch aus der Fahrbahn zu drehen beginnt. Gleichzeitig muss dabei richtig dosiert gebremst werden.
 
Ähnlichen Herausforderungen sahen wir uns im letzten Verwaltungs- und Finanzausschuss ausgesetzt, als Freitagnachmittags per Mail die Botschaft für die Sitzung am Montagmorgen verkündet würde, dass mit ca. 3,2 Millionen Euro weniger Gewerbesteuer in 2015 gerechnet werden müsse. Die über das Jahr 2014 geführten haushaltsrelevanten Diskussionen und Beschlüsse der Gremien und des Gemeinderates waren mit einem Schlag ein Stück weit in Frage gestellt, ähnlich dem beim Sicherheitstraining plötzlich auftauchenden Hindernis. Galt es doch, den quasi über Nacht bekannt gewordenen Gewerbesteuerrückgang so zu kompensieren, dass die nun erforderlichen deutlichen Einsparungen über alle Budgets hinweg fair und ausgewogen zu gestalten waren. An dieser Stelle möchten wir Herrn Oberbürgermeister Beck, der in dieser Situation die nötige Nervenstärke zeigte, für seine ruhige und sachorientierte Sitzungsleitung in dieser VFA-Sitzung danken, denn angesichts der unerwarteten und unbeliebten Einsparmaßnahmen hätten die Diskussionen auch ganz anders und deutlich „politischer“ laufen können. Dass dann am Ende ein noch besseres Ergebnis als im ursprünglichen Haushaltsentwurf feststand, könnte man mit einem Augenzwinkern ganz einfach so stehen lassen - wenn nicht, und das ist die eigentliche Erkenntnis aus der Haushaltsdebatte, wir in unserer Stadt ein eher schon grundsätzliches Haushaltsproblem damit hätten, dass alle Jahre wieder unsere Einnahmen und Ausgaben „Spitz auf Knopf“ zueinander stehen.
 
In meiner Haushaltsrede vor einem Jahr hatte ich bereits darauf hingewiesen, ich zitiere: „Gleichzeitig wird die Verschuldung der Stadt in den kommenden Jahren wieder steigen – und dies angesichts hoher kommunaler Einnahmen einer ungebrochen prosperierenden Wirtschaft. Deshalb ist auch dieser Haushalt ein Stück weit auf „Kante genäht“, denn eine Verschlechterung auf den Märkten unserer heimischen Industrie würde unmittelbare Konsequenzen auf den Erfüllungsgrad unserer Aufgaben und auf die selbst gesteckten Ziele haben.“ Zitatende. Dies hat sich nun bereits ein Jahr später mehr als deutlich bewahrheitet.
 
Wenn man davon ausgeht, dass wir aktuell noch in einer konjunkturellen Hochphase stehen, für die aber bereits erste Eintrübungsstreifen am Wirtschaftshorizont erkennbar sind in Form von Rücknahmen der prognostizierten Wachstumsraten durch die Wirtschaftsweisen und die Bundesregierung, ist es den Bürgerinnen und Bürgern kaum mehr vermittelbar, dass die gesamten städtischen Einnahmen nicht ausreichen, alle Pflicht- und Freiwilligkeitsaufgaben ohne Aufnahme weiterer Schulden zu finanzieren. Und dass wir darüber hinaus die bestehenden Schulden der Stadt und ihrer Eigenbetriebe offenbar nicht erkennbar abbauen können. Andere Gebietskörperschaften, wie Land und Bund, haben ein Verschuldungsverbot in die jeweiligen Verfassungen aufgenommen. Und was tun wir in Stadt und Kreis? Der voraussichtlichen Schuldenstand beträgt zum 01.01.2015 für den Kernhaushalt rd. 12,4 Mio €, für den Eigenbetrieb Stadtentwässerung ca. 13 Mio € und für den Eigenbetrieb Tuttlinger Hallen ca. 9 Mio €, zusammen also ungefähr 34,4 Mio € , wie auf Seite 391 des Haushaltsplanentwurfs ausgewiesen.
 
Hinzu kommen noch die Tuttlinger Wohnbau Ende 2013 mit 2/3 von 18,4 Mio €, also 12,3 Millionen,  die Tuttlinger Bäder Ende 2013 mit 3,6 Mio sowie die Stadtwerke Tuttlingen Ende 2013 mit 9,6 Mio €. Diese Schulden summieren sich auf einen Gesamtschuldenstand von rund 60 Mio € oder 1.792 €/je Einwohner. Und dazu kommen für den Landkreis noch einmal rund 8,4 Millionen hinzu wenn man den Anteil der Kreisumlage mit 23 % ansetzt und damit kommen wir auf unglaubliche 68,4 Mio € kommunaler Schulden oder 2.043 € je Einwohner, egal ob Neugeborenes oder Senior, Tendenz steigend. Hier müssen wir dringend gegensteuern, allein das Argument niedrigster Zinsen kann diesen hohen Schuldenstand nicht rechtfertigen. Einer der Väter unserer sozialen Marktwirtschaft,  Ludwig Erhard hatte einst dazu angemerkt (Zitat) „ Einmal wird der Tag kommen, da der Bürger erfahren muss, dass er die Schulden zu bezahlen habe, die der Staat macht und uns zum "Wohle des Volkes" deklariert.“  
 
Deshalb hatten wir auch dafür plädiert, die Sanierung der Fußgängerzone für
3,7 Mio € zeitlich zu verschieben, auch wenn wir die grundsätzliche Notwendigkeit dieser Maßnahme nicht in Frage stellen. Aber dürfen die Einzelhändler und Gewerbetreibenden in der Tuttlinger Meile nach dem Wilhelm- und Bahnhof-
straßenumbau nicht auch einmal ein, zwei Jahre Luft holen und wieder etwas Geld verdienen? Oder glaubt tatsächlich irgendjemand, dass den Kunden die Baumaßnahmen in der Innenstadt völlig egal seien und beim Abarbeiten der drei geplanten Sanierungsbauabschnitte in den nächsten Jahren die jeweils nicht betroffenen Straßenzüge von Kunden hoch frequentiert würden? Wobei wir uns gemeinsam mit ProTUT gegen eine nochmalige Ausweitung der Fußgängerzone aussprechen, will man Handel und Gastronomie nicht ganz den Garaus machen. Wir sehen andere Sanierungs- und Investitionsschwerpunkte in der Stadt, wie das Unionareal, den naturwissenschaftlichen Turm am IKG oder den in erbärmlichen Zustand sich zeigenden Hauptbahnhof.
 
Hier rächt sich erneut, dass unserem Vorschlag zur Einrichtung einer eigenen Stadtentwicklungsgesellschaft nicht gefolgt wurde, zumal bei der Stadt selbst kaum ausreichende Planungs- und wenig Projektentwicklungskapazitäten vorhanden oder diese anderweitig gebunden sind. Und zusätzlich käme, falls wir die Förderzusage vom Land erhalten, das für die mittelständische Wirtschaft der Region so wichtige Innovations- und Technologietransferzentrum des Hochschulcampus, welches einen Baukostenanteil von 2,1 Mio € allein für die städtischen Finanzen bedingen würde. Der Hochschulcampus selbst bräuchte weitere Räumlichkeiten, um die Stufe II seiner Entwicklung unterbringen zu können, auch weitere Studiengänge sind aktuell im Gespräch. Und was favorisiert der Gemeinderat dieser Stadt? Es wird mit hoher Priorität in den Austausch toter Steine investiert. Sich auch wichtig und notwendig, dies wäre aber auch in zwei oder drei Jahren noch umsetzbar.
 
Eine weitere Lehre aus der hoffentlich nur temporären Gewerbesteuerentwicklung der Stadt zu ziehen wäre es, endlich das Thema städtische Gewerbeflächen auf die Prioritätsstufe 1 zu setzen. Was hätte es für unsere Stadt für fatale Folgen, wenn eines der mittleren, mehrere kleine oder gar ein großer Arbeitgeber nach einer Standortüberprüfung eine Verlagerung, auch nur in Teilen, außerhalb Tuttlingens Stadtgrenzen in die strategische Entwicklung einplanen würde(n). Wir behandeln das Thema derzeit höchst fahrlässig! Und auch die Fokussierung auf nur ein einziges Areal ist unseres Erachtens nicht ausreichend. Was geschieht, wenn Gänsäcker II, aus welchen Gründen auch immer, nicht realisiert werden kann? Gibt es einen Plan B in der Schublade? Da es Jahre bis zur Fertigstellung neuer Gewerbebiete dauert, haben wir höchste Alarmstufe und dringenden Handlungsbedarf. Wir sollten das Schmidt-Treiber-Gutachten zu den möglichen Gewerbegebieten nochmals genauestens anschauen und weitere Optionen sowie die Einbeziehung vorhandener Brachen vorbehaltlos prüfen, ohne in der Gänsäckerentwicklung nachzulassen oder sie gar aufzugeben.
 
Ein letzter Punkt ist die Wirtschaftlichkeit der Eigenbetriebe und privatrechtlich organisierten städtischen Unternehmen. Wir diskutieren z.B. umfänglich über Qualität und Quantität der Veranstaltungen des EBTH. Das betrifft aber nahezu ausschließlich das kulturelle Angebot. Wie wäre es denn, wenn wir für unsere Eigenbetriebe kommunalpolitische Zielvorgaben definieren? So könnte und müsste unseres Erachtens nach das Kongress- und Tagungsgeschäft der Tuttlinger Hallen deutlich ausgebaut werden. Damit würden nicht nur die Zusammenarbeit mit Hallencatering und örtlicher Hotellerie – und deren Wirtschaftlichkeit - signifikant verbessert werden, es könnte so auch der Zuschuss um spürbare Größenordnungen verringert und mit den frei werdenden Mitteln die Verschuldung abgebaut und/oder z.B. die Kinderbetreuungszeiten in den Kitas nach den Bedürfnissen der Elternschaft optimiert werden.
 
Abschließend gilt unser Dank Ihnen, Herr Oberbürgermeister Beck, Herr Erster Bürgermeister Buschle und Herr Baubürgermeister Kamm sowie allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadtverwaltung und ihrer Eigenbetriebe. Ein besonderes Lob gilt auch dieses Jahr wieder unserem Stadtkämmerer Uwe Keller mit seinem exzellenten Team, gerade auch in der fachlichen Begleitung der Spardiskussion und deren sehr kurzfristige Umsetzung in den kommunalen Haushalt.
 
Beim Dank an das Ratskollegium für die Zusammenarbeit werte Kolleginnen und Kollegen des Gemeinderates werde ich - entgegen meiner ursprünglichen Intention - nun doch auch jenen danken, die mit ihrer Mehrheitsmachtposition uns, den ebenfalls von Bürgerinnen und Bürgern gewählten Gemeinderäten der FDP und der Tuttlinger Liste die Mitarbeit in bestimmten Gremien, so wie von der Verwaltung in einer eigenen Vorlage vorgeschlagen, versagt hatten. Mit dem von einigen Fraktionsrepräsentanten in zahlreichen Reden immer wieder zitierten Begegnung und Debatte in Augenhöhe und einem durch Respekt anderen Ratskolleginnen und –kollegen gegenüber getragenen Umgang untereinander hatte dieses Mehrheitsvotum nichts, aber auch gar nichts gemein.
 
Ein besonderer Dank geht an die vielen ehrenamtlich engagierten Bürgerinnen und Bürgern in Vereinen und Organisationen der Stadt und ihren Stadtteilen. Ohne deren gesellschaftliches Engagement würden zahlreiche Aufgaben in Tuttlingen liegen bleiben oder nur unzureichend wahrgenommen werden.
 
Dem vorliegenden neuen Haushaltsplan für das Jahr 2015 stimmt die FDP-Stadtratsgruppe mit einem besonderen Erwartungsanspruch an die wichtige und notwenige Arbeit der Haushaltsstrukturkommission zu.
 
Vielen Dank!
 
Es gilt das gesprochene Wort.

Hans-Peter Bensch, Sprecher der FDP-Stadtratsgruppe