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Redensammlung

Sozialpreisverleihung an Lutz Beisel Dienstag, 21. November 2017, 18.30 Uhr - Galerie


Begrüßung und Würdigung
 
Sehr geehrte Damen,
zur Verleihung des diesjährigen Sozialpreises darf ich Sie herzlich begrüßen.
Zuallererst gilt mein Dank den jungen Musikerinnen, die den heutigen Abend umrahmen – Leni Schneider-Strittmatter und Lina Weidmann. Beide haben schon bei verschiedenen Wettbewerben Preise gewonnen.
 
Ich begrüße zu dieser Feier meinen Kollegen Willi Kamm sowie zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter des Gemeinderates. Sie hatten im Frühjahr dieses Jahres beschlossen, Lutz Beisel  mit dem Sozialpreis zu ehren.
 
Als Vertreter des Landrats darf ich Sozialdezernenten Bernd Mager begrüßen.
 
Ein herzliches Grüßgott auch den Vertretern der Kirchen:
Dekan Matthias Koschar von der katholischen Kirche
Stadtpfarrer Jens Junginger von der evangelischen Kirche 
Zahlreich vertreten sind heute frühere Sozialpreisträgerinnen und Sozialpreisträger. Ich begrüße
Dr. Frieder Böhme
Marianne Huegel
vom Frauenhausverein Juliane Schmieder
vom Kinderschutzbund Irmgard Rieger und Herrn Hans-Peter Seute
und von Tuttila Abenteuerland Daniel Schmidt und Martina Gröne 
Ich begrüßte zahlreiche Freunde, Verwandte und Weggefährten von Lutz Beisel und natürlich unseren heutigen Preisträger selber nebst seiner Frau – Herzlich willkommen Lutz Beisel und Sigrid Debus-Beisel.
 
Meine Damen und Herren,
 
die Macht der Bilder darf nicht unterschätzt werden. Sie ist vermutlich noch größer als die Macht der Worte. Nichts spricht uns so direkt an wie ein Bild oder gar ein Film. Und nichts löst in so einem starken Maß Emotionen aus.
 
In manchen Fällen sind die Emotionen so stark, dass sie zu Entscheidungen führen, die ein ganzes Leben prägen – und die in manchen Fällen sogar das Leben unzähliger weiterer Menschen beeinflussen. Im besten Fall führt dieser Anstoß zu etwas Positivem, vielleicht sogar zu etwas ganz Großem. Und um so eine Geschichte geht es heute.
 
Sie begann 1967. In Zeiten des Vietnamkriegs. Heute wird von Historikern der Vietnamkrieg als erster Krieg der Menschheitsgeschichte betrachtet, dessen Bilder nahezu zeitgleich und ungefiltert um die ganze Welt gingen. Das Leid der Menschen und die Brutalität auch gegen Zivilisten fanden über Zeitungen, Magazine und Fernsehen den direkten Weg in die Wohnzimmer. Einige dieser Bilder haben sich ins kollektive Gedächtnis der Menschheit nachgerade eingebrannt. Eines davon haben Sie vermutlich in diesem Moment vor Ihrem inneren Auge – das Bild des Mädchens, das nach einem Napalm-Angriff schreiend und nackt davon rennt.
 
Dass sich in vielen Ländern der Welt ein massiver Protest aufbaute, dass eine der ersten weltweit aktiven Antikriegs- und Friedensbewegungen entstand, ist die eine Folge dieser Bilder. Und dass Militärs seither mehr denn je bemüht sind, die Bilder zu kontrollieren, die andere.
 
Einen Mensch, den diese Bilder aus Vietnam damals aufrüttelten, ehren wir heute. Und wir ehren ihn vor allem dafür, wie er mit diesem Schock umging.
 
„Die Bilder von den Kindern in Not haben mir den Schlaf geraubt“, berichtete er Anfang des Jahres in einem Zeitungsinterview. Lutz Beisel konnte es nicht mehr ertragen, welches Leid durch Krieg und Gewalt ausgelöst wurde. Er selber war damals schon Pazifist, einer der wenigen Kriegsdienstverweigerer jener Zeit. Aber er beließ es nicht dabei, gegen den Krieg zu protestieren: Er wollte aktiv etwas für die Opfer tun – und zwar für die hilflosesten und unschuldigsten: Die Kinder.
 
In der Schweiz hatte wenige Jahre zuvor ein Mensch mit ähnlichen Ideen ein Hilfswerk gegründet. Und der Journalist Edmond Kaiser nannte sein Projekt „Terre des hommes“ - benannt nach einem Buch von Antoine de Saint Exupery, jenem französischen Autor, der in seinen Werken auch stark das Ideal einer bedingungslosen Menschlichkeit aufgreift. Lutz Beisel suchte den Kontakt zu Edmond Kaiser – und dieser gab ihm einen Stapel mit rund 100 Briefen mit: Allesamt von Leuten aus Deutschland, die sich in ähnlicher Weise engagieren wollten. Lutz Beisel war es nun, der die Idee in die Tat umsetzte: Er führte die Menschen zusammen – und gründete „Terre des Hommes“ Deutschland. In diesem Jahr konnte die Organisation ihr 50-jähriges Bestehen feiern.
 
Es gibt nur wenige Menschen, die auf ein Lebenswerk zurückblicken können, das so vielen Menschen in Not geholfen hat. Im Falle Lutz Beisels sind es Tausende von Kindern, die dank „Terre des Hommes“ in den Genuss von medizinischer Hilfe kamen, die sie im Heimatland nicht hätten erhalten können. Die in vielen Fällen ohne diese Hilfe gestorben wären. Opfer von Kriegen oder Katastrophen sind ebenso dabei wie Kinder mit schweren Krankheiten. Und aus einer privaten Initiative, die auf eigene Faust Transporte und Krankenhausaufenthalte organisierte, ist ein weltweit tätiges Hilfswerk geworden. Heute betreibt allein „Terre des hommes“ Deutschland über 400 Projekte in 32 Ländern. Und „Terres des hommes“ leistet nicht nur praktisch Hilfe: Der Verein ist zu einer international hörbaren Stimme für die Interessen der Kinder geworden. Eine Stimme, die laut wird gegen Kinderarbeit und Kinderhandel, gegen Kinderprostitution und den Missbrauch von Kindern als Kindersoldaten.
 
Am Anfang packte Lutz Beisel noch selbst vor Ort mit an, reiste in ferne Länder, organsierte und betreute Transporte. Schon innerhalb kurzer Zeit wuchs das Projekt aber so, dass es professionell gemanagt werden musste. Lutz Beisel übernahm auch diese Aufgabe, gab seinen Beruf auf und wurde erster Geschäftsführer von „Terre des Hommes“ Deutschland. Bis 1979 arbeitete er dort – so lange, bis der Verein sich gefestigt hatte und Lutz Beisel sein Werk in andere Hände gab.
 
Dass er einmal an der Spitze einer humanitären Organisation stehen sollte, hätte sich Lutz Beisel vermutlich zunächst auch nicht gedacht. Denn seine berufliche Laufbahn begann der gebürtige Bielefelder als Schriftsetzer. Als solcher entwickelte er sich fort und wurde Grafikdesigner bei Braun Elektronik -  bis er sich hauptamtlich „Terre des Hommes“ widmete. Später war er Geschäftsführer an verschiedenen Waldorfschulen,  zuletzt in Villingen-Schwenningen. Auch hier ging es ihm darum, etwas für Kinder zu machen – und ihnen auch Werte mitzugeben. Damit sie später auch für andere da sind, sich für Schwächere einsetzen, und nicht nur an ihre eigenen Interessen denken.
 
Über Villingen-Schwenningen führte ihn der Weg dann 1983 auch nach Tuttlingen. Denn an der dortigen Waldorfschule lernte er seine Frau Sigrid Debus-Beisel kennen. Und die wiederum hatte ein Haus in Nendingen, in dem die beiden seither leben.
 
Sozial engagiert ist Lutz Beisel bis heute. Und als 2015 zahlreiche Flüchtlinge zu uns kamen, handelte er so, wie schon 1967 unter dem Eindruck des Vietnamkrieges: Er beließ es nicht bei kritischen oder wohlklingenden Worten – er packte aktiv mit an. Bis heute unterstützen die Beisels eine 13-köpfige Familie aus Syrien, helfen bei allen Fragen des Alltag bis hin zur Wohnungssuche – was bei einer Familie dieser Größe eine besondere Herausforderung ist. Die sie im Übrigen lösen konnten.
 
Neben allem sozialen Engagement hat Lutz Beisel aber noch ganz andere Seiten: Vielen Menschen hat er als gerne gebuchter Stadtführer Tuttlingen, seine Geschichte und seine Architektur nahe gebracht. Und über die Stadtführungen kam er auch zur Stadtgeschichte: Er half, die Bestände des Fruchtkastens zu inventarisieren. Und er gehörte zu denen, die das „Tuttlinger Haus“ mit konzipierten. Dank ihm und seinen Mitstreitern können wir heute auf sehr plastische Weise nachvollziehen, wie die Menschen vor 200 Jahren in unserer Stadt lebten.
 
Doch es gibt nicht nur den historisch versierten Stadtführer Beisel: Sein zweites Spezialgebiet sind Flora und Fauna. Ursprünglich, so verriet er einmal, wollte er nämlich Biologe werden. Zum Studium kam es zwar nicht, die Leidenschaft aber blieb. Und über die Jahre  kamen zahlreiche Teilnehmer in den Genuss seiner Führungen über Pflanzen und Tieren oder auch die Geologie rund um Tuttlingen. Und im Bereich der Biologie hat er noch ein ganz außergewöhnliches Hobby: Er ist Molluskenforscher – er befasst sich also mit Weichtieren aller Art, von der Schnecke über die Muschel bis zum Tintenfisch. Stadtführungen gibt es dazu meines Wissens aber keine.
 
Lutz Beisel ist ein vielfältig interessierter Mensch – und vor allem ein Mensch, der sein Leben immer in den Dienst anderer gestellt hat. In den Dienst  Schwächerer, die ihre Interessen nicht selbst laut zum Ausdruck bringen können. Vor allem hat sein Engagement weite Kreise gezogen – weltweit Kreise. Und es wirkt nachhaltig und über viele Jahrzehnte. Darüber hinaus hat er das Leben in unserer Stadt bereichert, hat den Menschen Natur und Geschichte näher gebracht, sie auf das Verborgene aufmerksam gemacht.
 
Für dieses langjährige und vor allem dauerhaft wirkende Engagement zeichne ich heute Lutz Beisel mit dem Sozialpreis der Stadt Tuttlingen aus.
 
Die Urkunde trägt  folgenden Text:
 
„Das soziale Leben unserer Stadt ist auf Menschen angewiesen, die sich
in besonderer Weise für ihre Mitmenschen einsetzen. Sie sind es, die die sozialen Netzwerke in unserer Stadt pflegen und so in besonderer Weise zur Lebensqualität in Tuttlingen beitragen. Die Stadt Tuttlingen fördert daher soziales Engagement und zeichnet besondere Verdienste aus. In Anerkennung seines Einsatzes im sozialen Bereich ehrt die Stadt Tuttlingen
Lutz Beisel mit dem Sozialpreis.
Tuttlingen, den 21.11.2017
Michael Beck, Oberbürgermeister“

Es gilt das gesprochene Wort.
 
Der Preis selber ist eine Grafik des Künstlers Ralf Behrendt. Ich bin sicher, dass Sie in Ihrem Haus in Nendingen einen schönen Platz dafür finden.