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Redensammlung

Einweihung Julius-Fröhlich-Platz, Freitag, 2. Oktober 2015 – 17.30 Uhr


Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich begrüße Sie herzlich zu einer Veranstaltung, wie man sie nicht jeden Tag erlebt: Der Neubenennung eines Platzes.
 
Besonders begrüßen darf ich unseren Ehrengast: Der Mann, um dessen Familie und Lebensgeschichte es heute gehen wird, und auf den ich im Anschluss - im zweiten Teil dieser Veranstaltung in der Stadthalle – noch näher eingehen werde. Begrüße Sie mit mir unsere Gäste aus Shavei Zion in Israel – Amos Fröhlich mit seiner Frau Gilla.
Ein herzlicher Gruß gilt auch den Austauschschülern aus Shavei Zion, die ihn begleiten, sowie seinen Freunden aus Rexingen.
 
Begrüßen darf ich auch unsere Ehrengeschenkträger. Unter uns sind
Mein Vorgänger im Amt des Oberbürgermeisters, Heinz-Jürgen Koloczek
Frau Dr. Sybill Storz
Prof. Erich Weber
Ich freue mich auch auf den Besuch mehrere Kultur- und Sozialpreisträger: Herzlich willkommen
Siegfried Burger
Günter Hermann
Udo Braitsch
Marianne Huegel

Ich begrüße meine Kollegen Emil Buschle und Willi Kamm sowie die zahlreich erschienenen Vertreter des Gemeindesrates. Sie haben einstimmig beschlossen, dass dieser Platz künftig Julius-Fröhlich-Platz heißen soll, wofür ich mich an dieser Stelle nochmals herzlich bedanken möchte.
 
Ich freue mich, dass heute auch die Vertreter der Kirchen unter uns sind. Mit der heutigen Veranstaltung möchten wir schließlich auch ein Zeichen setzen für einen interreligiösen Dialog und gegen die Ausgrenzung Andersgläubiger. Seine Sie Willkommen,
Pfarrer Dr. Johannes Martin Dober von der evangelischen Kirche
Ich begrüße auch alle Nachbarn und Anlieger, die heute die Benennung mit uns feiern. Für sie wird der Julius-Fröhlich-Platz künftig zum Alltag gehören – und mit ihm ein Stück unserer Stadtgeschichte.
 
Meine Damen und Herren,
 
auf der Einladungskarte – der ersten, die sie schon vor einigen Tagen erhielten - steht ein Satz, den Amos Fröhlich einmal über seinen Vater Julius gesagt hat:
 
„Und er sehnte sich, als er weg musste, er sehnte sich nach Deutschland zurück,
er sehnte sich nach der Landschaft und er sehnte sich nach den Wäldern, und er hat sich nirgends so wohl gefühlt wie hier.“
 
Dieses Zitat hat mich sehr bewegt. In diesen wenigen Zeilen steckt der ganze Schmerz, den ein Mensch empfindet, der gegen seinen Willen seine Heimat verlassen muss. Genau das macht dieses Zitat auch so aktuell. Ersetzen Sie einfach in Gedanken das Wort „Deutschland“ durch „Syrien“ oder „Afghanistan“.
 
Dieses kleine Gedankenspiel zeigt uns, wie wichtig eine aktive Gedenkkultur ist. Denn sie ist nicht nur eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit – im Gegenteil: Sie führt uns auf direktem Weg mitten in die Gegenwart, in diesem Fall sogar mitten in die aktuelle Tagespolitik. Die Erinnerung an das Gestern wird so zur Verpflichtung für das Heute – in diesem Fall für unseren Umgang mit Flüchtlingen, die derzeit aus alle Welt zu uns kommen.
 
Lassen Sie mich nun aber dennoch einen Blick in die Vergangenheit werfen, lassen Sie uns gemeinsam den Menschen kennen lernen, der ab heute auf dem Tuttlinger  Stadtplan verewigt ist.
 
Amos Fröhlich wurde 1896 in Rexingen geboren – einem kleinen Ort bei Horb, in dem es seit dem 16. Jahrhundert eine  jüdische Gemeinde gab. Wie der Vater wurde er Viehhändler, 1925 eröffnete er einen Betrieb in Tuttlingen. Mit seiner Frau Elise zog er dann auch in unsere Stadt, die Kinder Sonja, Helmut, Walter – der heutige Amos – und Eleonore kamen hier auf die Welt. Das Geschäft florierte, und Fröhlich handelte weit über die Region hinaus. Seine Handelsbeziehungen reichten bis nach Bayern und ins Ruhrgebiet. Er war ein erfolgreicher Geschäftsmann, ein geschätzter Mitbürger – und treuer Staatsbürger der Weimarer Republik. Ein Soldat des Ersten Weltkriegs. Ein Träger des Eisernen Kreuzes und Mitglied des „Reichsbundes jüdischer Frontkämpfer“. Und ein Anhänger des demokratisch gesinnten „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“.
 
In Tuttlingen waren die Fröhlichs gut integriert. Doch Julius Fröhlich erkannte auch, dass dies sich unter der NS-Diktatur ändern würde: Bereits 1937 schloss er sich der Gruppe Rexinger Juden an, die 1938 dann die Siedlung „Shavei Zion“ im Norden des britischen Mandatsgebiets Palästina gründete. 1938 brachen auch die Fröhlichs ihre Zelte in Tuttlingen ab. Es waren auch Tuttlinger Freunde, die ihm dazu geraten haben „Ganget Se, so lange Sie noch können“, soll ihm auch Architekt Weber, der Vater unseres Altstadtrats und Ehrengeschenkträgers Prof. Erich Weber, gesagt haben.


In Shavei Zion war der erfahrene Viehhändler Julius Fröhlich nun für den Aufbau der Milchwirtschaft zuständig. Einerseits genoss er das Gefühl des Aufbaus, andererseits strengte ihn das ungewohnte Klima und die harte Arbeit an, die morgens um 3 Uhr begann. Dazu kamen die Sorgen um die Angehörigen, die in Deutschland geblieben waren – Sorgen, die sich auf furchtbare Weise als berechtigt herausstellen sollten: Sowohl Bruder Simon und seine Frau als auch Mutter Auguste wurden 1942 von den Nazis ermordet.


Julius Fröhlich und Elise Fröhlich haben überlebt – doch die Erinnerungen blieben. Erinnerungen, die sich nicht so einfach verdrängen lassen. So ging es vielen Deutschen jüdischen Glaubens, die – wie viele es selber nannten - zu den „Davongekommenen“ zählten. Und viele zogen daraus die Konsequenz, das Land, in dem sie auf die Welt gekommen waren, nie wieder zu betreten.
 
Bei Julius Fröhlich war es anders. Denn in seinem privaten Tuttlinger Umfeld hatte er es auch mit Menschen zu tun gehabt, die in der Diktatur ihre Menschlichkeit nicht verloren hatten. Die persönliche Freundschaft über staatlich verordneten Hass stellten. Und zu diesen Menschen kehrte er immer wieder zurück. Bereits 1951 reiste er zum ersten Mal nach Nachkriegsdeutschland, und seit er ab 1957 im Ruhestand war, verbrachte er mit seiner Familie die Sommermonate regelmäßig in Tuttlingen – in der Nähe seiner Freunde - und bei den eingangs erwähnten Wäldern. Im Sommer 1963 starb er dann auch in Tuttlingen – in unserer Stadt schloss sich sein Lebenskreis. Seine Frau Elise überlebte ihn um viele Jahre. Sie starb 2000 im Alter von 95 Jahren in Shavei Zion.
 
Meine Damen und Herren,
 
die Geschichte der Familie Fröhlich endete glücklich. Und wir freuen uns, dass auch ihr Sohn Amos zu den regelmäßigen Gästen in unserer Stadt zählt. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass es in Millionen von Fällen anders war. Wenn wir heute einen Platz nach Julius Fröhlich benennen, erinnern wir daher auch an alle, denen es nicht vergönnt war, an einem anderen Ort ein neues Leben zu starten. Deren Leben in Auschwitz, Bergen-Belsen oder Theresienstadt endete  - jenen Orten, die für immer zu Symbolen der Unmenschlichkeit wurden.
 
Wir erinnern aber genauso an alle, die heute auf der Flucht sind, um anderswo in Sicherheit einen Neuanfang zu wagen. Auch ihnen ist dieser Platz gewidmet.
 
Wenn wir einen Blick auf den neugestalteten Platz werfen, sehen wir einige Bezüge zu diesem Thema. Es fängt natürlich bei der Lage: Hier an diesem Platz, im heutigen Haus Hermannstraße 14 im zweiten Stock, war die erste Tuttlinger Wohnung der Familie Fröhlich. Später bauten sie ihr Wohn- und Geschäftshaus – nicht weit von hier, in der Dammstraße 9, der heutigen Nendinger Allee. Und die Mitarbeiter der Abteilung Grünplanung haben in ihrem Entwurf einige Bezüge einfließen lassen: Der von den Wegen umwobene Kreis mit der symbolischen Mitte – einer sehr alten, handwerklich natursteinbehauenen Säule – steht für diese Sehnsucht nach Wiederkehr. Er steht aber auch für das Licht der Hoffnung nach dunklen Zeiten. Dies wird durch die schwarz-weiß-Ornamentik der Beläge hervorgehoben. Trauer und Freude, Dunkel und Licht, Hoffnungslosigkeit und Zuversicht….all diese, auch für den Lebensweg Julius Fröhlichs stehenden Begriffe werden durch die Materialien und die Pflanzenauswahl aufgenommen. Der Lebensweg wird nun zum Teil des Stadtbildes.  
 
Meine Damen und Herren,
 
am morgigen Samstag jährt sich zum 25. Mal die Wiedervereinigung. Die deutsche Teilung, die direkte Folge der NS-Diktatur und des Zweiten Weltkriegs, wurde überwunden. Damals stellten sich die Menschen in Deutschland, in Europa, in der ganzen Welt, viele Fragen. Wird Deutschland die Herausforderungen der Wiedervereinigung zu stemmen? Wo wird das neue Deutschland seinen Platz finden? Entsteht vielleicht ein Staat, der erneut zur Gefahr für die ganze Welt wird?
 
Heute, 25 Jahre später, können wir Bilanz ziehen: Wir haben die Herausforderungen gemeistert – und ich bin sicher, dass wir auch die aktuellen Herausforderungen meistern werden. Und wir sind ein Land, das – um Angela Merkel zu zitieren – Flüchtlingen gegenüber „ein freundliches Gesicht“ zeigt. Wir alle müssen daran arbeiten, dass dies so bleibt – dass die Bilder vom Münchner Hauptbahnhof auch auf Dauer stärker sind als die Bilder aus Heidenau oder Freital.
 
Dies ist unsere Verpflichtung – auch gegenüber den Menschen, die aus unserem Land einst fliehen mussten –Menschen wie Julius Fröhlich und seiner Familie.
 
Ich freue mich, dass ich nun zusammen mit Amos Fröhlich, dem Sohn von Julius Fröhlich, die Tafel enthüllen darf, die nun den Namens des Platzes erklärt.
 
Zuvor noch ein organisatorischer Hinweis: Die erfreuliche Nachricht, dass Amos Fröhlich mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wird, erhielten wir erst vor wenigen Tagen. Diese wichtige Verleihung findet gleich im Anschluss an diese Veranstaltung im kleinen Saal der Stadthalle statt. Dort – und nicht, wie auf der ersten Karte angegeben, im Fruchtkasten - ist auch der Empfang.
Nun aber darf ich Amos Fröhlich bitten, gemeinsam mit mir die Tafel zu enthüllen.