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Redensammlung

Verleihung des Kulturpreises an Günter Hermann - 12. Oktober 2011


Rede von Oberbürgermeister Michael Beck

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit dem Walzer Des-Dur von Frédéric Chopin begann unsere heutige Veran-staltung, sie hörten Angelika Birowski am Klavier.

Nach diesem wunderbaren Einstieg darf ich Sie herzlich begrüßen. Mein besonderer Gruß gilt all denen, die die Stadt Tuttlingen in den letzten Jahren für besondere Leistungen geehrt hat, und die heute unter uns sind: Ein herzliches Willkommen an die Ehrengeschenkträger

- Prof. Michael Ungethüm
- Heinz-Jürgen Koloczek
- Karl-Werner Bolzer

sowie die bisherigen Träger unseres Kulturpreises

- Roland Martin, Preisträger 2007
- Siegfried Burger, Kulturpreis 2008
- Helmut Brand, Verleihung 2010.

Ich begrüße die Angehörigen und Freunde Günter Hermanns – sowohl die Rotarier als auch die Lions sind heute gut repräsentiert – sowie die Vertreter des Gemeinderates, der am 16. Mai einstimmig beschlossen hat, Günter Hermann mit diesem Preis auszuzeichnen.

Ganz besonders aber grüße ich die Hauptperson des heutigen Abends: Herzlich willkommen, Günter Hermann.

Meine Damen und Herren,

als wir uns im Frühsommer erste Ge-danken über den Ablauf des heutigen Abends machten, ging es bald um die Frage des idealen Ortes. Schließlich soll dieser einen Bezug zum Geehrten haben. Dies fällt bei Günter Hermann auf den ersten Blick leicht – schließlich gibt es zahlreiche Orte in dieser Stadt, die es ohne ihn nicht gäbe. Zu denen er als Architekt also den größtmöglichen Bezug hat.

Genau das aber macht die Wahl auch wieder schwer. Denn – ich habe einmal nachgezählt – wir hätten diese Veranstaltungen an fast 30 verschiedenen Orten in dieser Stadt feiern können. Denn so viele weist die Referenzliste Günter Hermanns alleine für die Stadt Tuttlingen aus.

Einige schieden gleich aus:

Die Bootslände mit dem Golem wäre im Oktober wohl etwas frisch gewesen.

Das Bettenhaus der Kreisklinik ist als Rohbau erst bedingt festtauglich.

Im Scala-Kino gibt es den Sekt nur in XXL-Pappbechern.

Und in den Tresorräumen der L-Bank waren die Sicherheitsbedingungen zu streng.

Also fiel unsere Wahl auf die Galerie - eines der ersten Projekte, das Günter Hermann in seiner Heimatstadt realisierte. 1987 wurde sie eingeweiht und ist seither einer der wichtigsten Orte für das Kulturleben unserer Stadt – und somit auch der ideale Ort für eine Kulturpreisverleihung.

Meine Damen und Herren,

unsere bisherigen Kulturpreisträger waren Bildende Künstler und Musiker. Heute ehren wir einen Architekten. Und mit ihm ehren wir einen Mann, dessen Werke Teil unseres täglichen Lebens sind. Denn wohl kaum eine Kunstform steht in so engem Bezug zu unserem Alltag wie die Architektur. Der Architekt schafft Werke, in denen wir wohnen, arbeiten oder unsere Freizeit verbringen. Die Teil unseres Lebens sind und dies positiv oder negativ beeinflussen können. Um es mit den Worten von Alexander Mitscherlich zu sagen:
„Der Mensch prägt die Stadt und die Stadt prägt den Menschen“.

Ein Mensch, der unsere Stadt in erheb-lichem Maße geprägt hat, ist Günter Hermann. Und wenn Alexander Mitscherlich recht hat, dann hat er auf diese Weise auch uns geprägt. Denn Günter Hermann schuf Bauten, die aus unserem Tuttlinger Stadtbild nicht weg zu denken sind:

- Weil sie öffentliche Einrichtungen beherbergen
- Weil sie an städtebaulich entschei-denden Orten stehen
- Weil sie durch ihre Gestaltung auffallen.

Wie bereits gesagt: Rund 30 Arbeiten in Tuttlingen werden in Günter Hermanns Werksverzeichnis aufgeführt. Und der Kürze halber möchte ich es bei einer winzigen Auswahl belassen:

So entwarf Günter Hermann unter an-derem

- das Wöhrden-Quartier mit dem Scala-Kino
- das Landratsamt
- das Aesculapium
- den Hochschulcampus
- und natürlich den Rathaus-Neubau mit dem Sitzungssaal – dem Raum, in dem unsere Gemeinderäte die Demokratie vor Ort leben.

Ich bin sicher: Es gibt nur wenige Menschen, die im Stadtbild unserer Stadt so viele Spuren hinterlassen haben wie Günter Hermann. Genauer gesagt: Seit dem Stadtbrand waren es vermutlich nur zwei: Carl-Leonhard Uber und Günter Hermann.

Dieser Weg war allerdings nicht vorgezeichnet: Denn der berufliche Weg Günter Hermanns begann mit einer Elektrikerlehre bei Chiron. Das Abitur machte er im zweiten Bildungsweg, und 1966 begann er dann im Alter von 26 Jahren das Architekturstudium – zunächst an der FH Konstanz, dann an der Universität Stuttgart.

Seine ersten beruflichen Erfahrungen sammelte Günter Hermann bereits während des Studiums: Seit 1969 arbeitete er im Büro Kiefner und Lauber mit, 1977 gründete er mit zwei Kollegen das Büro Haas, Hermann Schwarz in Stuttgart. Von 1980 bis 1995 war er außerdem Lehrbeauftragter an der FH Konstanz und der Uni Stuttgart für Baukonstruktion und Entwerfen.

1982 wagte Günter Hermann dann den entscheidenden Schritt: Die Gründung des eigenen Büros. Die erste Niederlassung von „Günter Hermann Architekten“ war in Stuttgart, das Tuttlinger Büro kam 1985 dazu.

Der Erfolg stellte sich schnell ein. Von Beginn an arbeitete das Büro in ganz Baden-Württemberg. In Stuttgart ebenso wie in Meßkirch, in Karlsruhe ebenso wie in Ravensburg, Villingen-Schwenningen oder Donaueschingen. Den größten Auftrag bekam Günter Hermann aber aus Berlin: Die Hauptverwaltung Berlin der Deutschen Bundesbank in Charlottenburg. Um diesen Auftrag zu bewältigen, eröffnete Günter Hermann zeitweise ein drittes Büro in der Hauptstadt - was im Briefkopf für einen schönen Dreiklang sorgte: Berlin-Stuttgart-Tuttlingen.

Ob Berliner Bankgebäude oder Tuttlin-ger Rathaus – die Gebäude Günter Hermann tragen stets eine besondere Handschrift: Es ist die Handschrift eines Architekten, der sich zwar als überzeugter Vertreter der Moderne ver-steht, diese aber nicht als Dogma auslegt. Er steht somit in der Tradition der zweiten Stuttgarter Schule um Rolf Gutbrod, Rolf Gutbier oder Hans Kammerer – jene Architekten, die schon während Günter Hermanns Stu-dienzeit die süddeutsche Architekturszene prägten. Als „typisches Stuttgarter Gewächs“ bezeichnet ihn dann auch ein langjähriger Kollege, Prof. Hans Klumpp.

Doch trotz der Verwurzelung in der klassischen Moderne ist Günter Her-mann durchaus auch für architektonische Trends zu haben – dies aber mit Bedacht und Distanz. Die Galerie, in der wir uns befinden, ist ein typisches Beispiel dafür: Sie steht für die Freude am Zitat, wie sie in den 1980er-Jahren neu erwachte. Sie ist somit eindeutig als Gebäude dieser Dekade erkennbar. Doch Günter Hermann verfiel schon damals nicht der Versuchung, ein übertrieben modisches Gebäude zu errich-ten – das schon wenige Jahre später veraltet gewirkt hätte.

Diese zeitlose Eleganz ist ein weiteres Markenzeichen Günter Hermanns. Kenner schwärmen noch heute von einer seiner ersten Arbeiten: Dem „Pfeifenarchiv“ in der Calwer Passage in Stuttgart. 1978 wurde der Laden eingerichtet – und ist bis heute unverändert. Und das ist einer Zeit, in der Ladeneinrichtungen normalerweise nach wenigen Jahren ausgemustert werden.

Ein weiteres Beispiel für diese Wertig-keit dürfen meine Mitarbeiter und ich jeden Tag erleben: Über 20 Jahre ist unser Rathaus nun alt – und kein Mensch würde es als veraltet bezeichnen. Seine Eleganz, seine Hochwertigkeit und die mit viel Gespür gestalteten Details überdauern die Zeit.

Die Baugeschichte unseres Tuttlinger Rathauses verrät aber auch viel über ein weiteres Charakteristikum von Günter Hermanns Arbeit: Denn sie ist geprägt von einer intensiven Auseinandersetzung mit der gebauten Umwelt und vor allem ihrer Geschichte.

Heute kann man es sich nicht mehr vorstellen: Ende der 1970er-Jahre gab es eine intensive Diskussion darüber, ob es nicht sinnvoller wäre, das 1803 gebaute Tuttlinger Rathaus abzureißen. Es war zugebenermaßen in einem desolaten Bauzustand. Die klassizistische Architektur Carl-Leonhard Ubers war aber noch weitgehend im Urzustand erhalten.

In die damalige Debatte mischte sich der junge Architekt Günter Hermann in-tensiv ein – und öffnete so den Tuttlingern auch den Sinn für den ästhetischen Reiz des Uberschen Stadtgrund-risses. Die Abstimmung im Gemeinderat fiel dann knapp zu Gunsten des historischen Rathauses aus. Es war ein Sieg des Denkmalschutzes und auch ein Sieg Günter Hermanns. Und es war nur folgerichtig, dass der Auftrag für die Sanierung und auch für den angrenzenden Neubau an Günter Her-mann ging.

Sowohl beim Rathaus als auch bei einem seiner jüngsten Tuttlinger Werke, dem Hochschulcampus, kann man Günter Hermanns Gespür für den Umgang mit historischen Bauten eindrucksvoll beobachten: In beiden Fällen hat er traditionsreichen Bauwerken neue Gebäude an die Seite gestellt, die erst gar nicht versuchen, die Vergangenheit zu kopieren. Sowohl der Rathausanbau als auch der Erschließungtrakt des Hochschulcampus sind frei von historisierenden Elementen – und ergeben trotzdem oder gerade deswegen eine harmonische Einheit.

Günter Hermanns Arbeit ist geprägt von großem Respekt gegenüber früheren Architekten. Und darum hat er sich nicht nur als Schöpfer neuer Gebäude einen Namen gemacht, sondern auch als Bewahrer historischer Bausubstanz. Als es um die Rettung und danach auch die Sanierung des Alten Krematoriums ging, war er einer der treibenden Kräfte – ohne seine tatkräftige Mitarbeit und seinen Sachverstand würde dieses Denkmal heute nicht so aussehen, wie wir es kennen und schätzen.

Erst jüngst war zu lesen, dass er in Mühlheim das historische Fischerhaus saniert.

Und dann lebt der moderne Architekt Günter Hermann selber in einem gänzlich unmodernen Gebäude – nämlich auf Schloss Bronnen.

Doch ganz gleich, ob er neu plant oder saniert: Günter Hermanns Arbeiten sind immer von einer außergewöhnlich hohen Qualität, bis ins letzte Detail ästhetisch stimmig. Sie ist kompromisslos und selbstbewusst. Und gerade dafür wurde und wird sie auch immer wieder ausgezeichnet. Allein vom Bund Deutscher Architekten erhielt er 16 Preise oder lobende Erwähnungen. Und wenn man als Bauherr Wert gerne mehrmals feiert, ist man bei Günter Hermann an der richtigen Adresse: Denn die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass man ein bis zwei Jahre nach dem Einweihungfest ein zweites Mal anstoßen darf: Wenn man ge-meinsam mit ihm einen großen oder kleinen Hugo Häring an der Fassade verankern darf.

Meine Damen und Herren,

Tuttlingen kann stolz auf den Architek-ten Günter Hermann sein. Er zeigt, dass aus unserer Stadt nicht nur ho-chwertige Medizintechnik kommt, son-dern auch hochwertige Architektur. Und bei allen Erfolgen in ganz Deutschland: Günter Hermann gehört zu den Menschen, die ihren Wurzeln und ihrer Heimat immer treu geblieben sind. Er wird immer der Tuttlinger bleiben, der am Ufer der Donau in der Unteren Vorstadt aufgewachsen ist.

Und für diese Heimat setzt er sich ein, entwickelt Ideen und Utopien, auch wenn diese nicht unbedingt einen Auftrag zur Folge haben. Ich denke hier nur an seine Idee, unter der Weimarstraße Parkplätze anzulegen – eine ebenso verrückte wie sympathische Idee, in die er schon viel Zeit investiert hat. Auch wenn wir sie in absehbarer Zeit sicher nicht realisieren können.

Im öffentlichen Leben unserer Stadt ist Günter Hermann präsent. Er bringt sich ein, ergreift Initiative – vor allem dann, wo es um die Stadt als Lebensraum geht. Denn Günter Hermann ist auch ein leidenschaftlicher Kämpfer für ei-nen hochwertigen Städtebau. Und wenn hier Fehlentwicklungen drohen, kann er sehr energisch werden – schließlich prägen diese dann für Jahrzehnte das Stadtbild. Und so ließ er nicht locker, bis die Stadt in den 1990er-Jahren ein Idee fallen ließ, die das Bild des Donauufers auf lange Sicht beeinträchtigt hätte: Es ging um den Plan, in Wöhrden ein Pumpwerk zu errichten.

Heute sind wir froh, dass an dieser Stelle das Scala-Kino steht. Flankiert wird es von der nach Plänen Günter Hermanns restaurierten Groß Bruck. Abgerundet wird das Ensemble durch das Sonnenbrünnele, das auf Initiative Günter Hermanns aus seinem Schattendasein befreit wurde. Kino, Brücke und Brunnen bilden heute eine Einheit. Man kann mit Fug und Recht sagen, dass Günter Hermann hier den mar-kantesten und wohl meistfotografierten Stadteingang Tuttlingens schuf. Und ich bin sicher: Eines Tages werden auch seine Visionen für das Gerbeufer noch wahr werden.

Günter Hermanns Einsatz für seine Heimatstadt beschränkt sich aber nicht nur auf den Städtebau. Denn er hat in ganz besonderer Weise verinnerlicht, was die Lebensqualität einer Stadt ausmacht, was die Grundlage von Urbanität ist: Es ist der enge Bezug von der Stadt als gebauter Umwelt und der Stadt als Einheit der in ihr lebenden Bürger. Man kann es auch so sagen: Günter Hermann ist ein Stadt-Bürger im besten Sinne des Wortes.

In dieser Rolle versteht er sein Enga-gement in verschiedenen Institutionen: Als

- Mitglied des Kunstkreises Tuttlingen
- Beirat im Heimatforum
- Vorstandsmitglied der Stiftung Stadtkirche
- und Vorstandsmitglied der Bürgerstiftung.

Günter Hermann ist ein Mensch, der uns Tag für Tag daran erinnert, dass städtisches Leben nicht von selber kommt. Dass die Qualität einer Stadt sowohl von denen, die sie gestalten, als auch von denen, die in ihr leben abhängt.

Auf diese Weise wirkt Günter Hermann in verschiedener Weise: Als Botschafter der Urbanität, als Architekturvermittler und als Repräsentant eines gelebten Bürgersinns.

Es ist mir daher eine Ehre, Günter Hermann heute mit dem Kulturpreis der Stadt Tuttlingen auszuzeichnen. Die Urkunde hat folgenden Text:

„Kunst und Kultur sind unverzichtbare Bestandteile unseres Lebens. Eine Gesellschaft lebt von künstlerischer Reflexion, von den Anstößen und Dis-kussionsbeiträgen ihrer Kulturschaffenden.
Die Stadt Tuttlingen fördert die Kultur und zeichnet besondere Leistungen aus. In Anerkennung seiner Verdienste für die Stadt Tuttlingen, besonders aber für die Architektur, würdigt die Stadt Tuttlingen
GÜNTER HERMANN
mit dem
KULTURPREIS
Tuttlingen, den 12. Oktober 2011
Michael Beck - Oberbürgermeister

Besonders freue ich mich, Ihnen, lieber Günter Hermann, diese Grafik von Ralf Behrendt überreichen zu dürfen. Ich bin sicher, Sie werden aus Schloss Bronnen einen passenden Platz dafür finden.

Ich freue mich jetzt auf Lukas Firmbach, der das musikalische Programm mit Claude Debussys Arabesque E-Dur fortsetzen wird.

Ebenfalls schon ankündigen darf ich den jungen Pianisten An Nguyen, der den Abend mit einer jazzigen „Final Fantasy“ abschließen wird.