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Fraktionsmitteilung

Haushaltsrede zum Haushaltsplan 2012 der FDP-Fraktion von Herrn Hans-Peter Bensch


Die letzten Jahre waren auf allen politischen Ebenen, global, europaweit, national, auf Landes- und Kreisebene, aber auch und ganz besonders in der Stadt Tuttlingen geprägt durch Sparhaushalte und notwendige Konsolidierungsmaßnahmen. Bei uns haben diese bis heute tiefe Furchen in der Umsetzung kommunaler Projekte hinter-lassen, mehrere angekündigte Großprojekte wie Sanierung und Ausbau der Her-mann-Hesse-Realschule, das neue Feuerwehrmagazin oder die Sanierungsförderung des Kindergartens Maria-Königin konnten deshalb nicht planmäßig in Angriff genommen werden, wir mussten sie vielmehr zeitlich verschieben.

Nun gab es in den ersten Haushaltsvorbetrachtungen durch die Kämmerei Mitte 2011 Signale, dass sich die städtische Einnahmeseite insbesondere bei der Gewer¬besteuer und den Schlüsselzuweisungen erfreulich gut entwickle und wir so haus-halterisch wieder mehr „Wasser unter den Kiel“ bekämen. Dies hat sich nun auch im vorliegenden Haushaltsentwurf bestätigt, wir liegen z.B. bei der geplanten Gewer-besteuereinnahme nach 20 Mio € in 2010 und 25, Mio € in 2011 nunmehr bei 29 Mio. € in 2012. Allerdings sind die Höhenflüge früherer Jahre mit über 36 Mio € als Spitzenwert kaum mehr erreichbar. Im Haushaltsvorbericht heißt es dazu treffend auf S. 14: (ich zitiere) „Durch strukturelle langfristige Veränderungen bei örtlichen Gewerbebetrieben kann dieser Betrag dauerhaft nicht erreicht werden“ (Zitatende).
Da macht es wahrlich wenig Sinn, schon wieder über eine weitere Erhöhung der Gewerbesteuer zu reden, wie es manche auch aus den Reihen dieses Gremiums einmal mehr vorgeschlagen hatten. Man schlachtet die Kuh nicht, die man melken möchte. Und wir liegen mit 365 Hebesatzpunkten bereits um fast 20 Punkte über dem Durchschnitt vergleichbarer Städte. Die FDP-Fraktion hatte der letzten Erhö-hung der Gewerbesteuer nur mit der Maßgabe zugestimmt, alljährlich zu prüfen, ob die Einnahmesituation eventuell wieder eine Absenkung auf ein niedrigeres Niveau zuließe. Das wäre in diesem Haushalt möglicherweise verfrüht, wir bitten die Stadtverwaltung aber, diese Option weiterhin in Betracht zu ziehen und dem Gemeinderat im Vorbericht zum Haushalt 2013 und fortfolgenden dazu Stellung zu nehmen.

„Die Talsohle sei nun durchschritten“ würden also Viele sagen. Bevor wir uns jedoch dem politischen Allokationsthema widmen, wie wir die kommunalen („Mehr-„) Ein-nahmen im Haushalt 2012 sinnvoll, vernünftig und nachhaltig einsetzen können, sei an dieser Stelle auch ein Hinweis auf 14,5 Millionen € Schulden der Stadt Tuttlingen in 2012 erlaubt.

Natürlich sind derzeit die Zinsen für aufgenommene Gelder auf niedrigstem Niveau und die städtischen Darlehensverträge auf längere Laufzeiten geschlossen. Leider fehlen in diesen Verträgen aber nennenswerte Sondertilgungsmöglichkeiten. Allein die Betrachtung der städtischen Verschuldung seit 2002, also im letzten Zehnjah-reszeitraum, zeigt einen unguten Trend von rd. 8 Mio € Schuldenstand oder 231 € pro Kopf in 2002 auf nunmehr rd. 14,5 Mio € oder 422 € im Haushaltsansatz 2012. Das ist nahezu eine Verdoppelung der pro-Kopf-Verschuldung. Und noch vor zwei Jahren war unser kommunaler Haushalt völlig schuldenfrei. Auch wenn hier Projekte wie z.B. der Hochschulcampus Tuttlingen als Investitionen gegenüber stehen, müs-sen wir den Verschuldungsgrad langfristig sehr genau im Auge behalten und be-sonders in wirtschaftlich erfolgreicheren Zeiten wie in heute auch an der Rückfüh-rung arbeiten. Die mit 700.000 € eingestellte Tilgungsrate ist da nur ein minimaler Beitrag, in der mittelfristigen Finanzplanung sind sogar weitere Kreditaufnahmen ausgewiesen.

Wir begrüßen im vorliegenden Haushalt 2012 ausdrücklich den von der Kämmerei zusammen mit den Fachabteilungen gesetzten Schwerpunkt, eine betriebswirt-schaftlich sinnvolle Erhöhung der Unterhaltsaufwendungen um 1,7 Mio € vorzu-schlagen. Diese vorgezogenen, aber notwendigen Instandsetzungsmaßnahmen rechnen sich nicht nur, vielmehr kann aufgrund der zu erwartenden Inflationsten-denzen und damit voraus- bzw. einhergehenden deutlichen Steigerungen der Zins-sätze des Finanzmarktes bei späterer Behebung ansonsten auftretender (Folge-) Schäden ein geldwerter Vorteil für die Stadt entstehen.

Auch hier wird mit Einführung der Doppik zum 1.1.2014 ein grundsätzlich anderes Denken in Politik und Verwaltung erforderlich werden, wenn nach dem Ablösen der bisherigen Kameralistik dann auch der Ressourcenverbrauch ausgewiesen und Rückstellungen gebildet werden müssen. Hier sei insbesondere auf die umfangrei-che Vorlage 207/2011 von Herrn Klaus verwiesen, die auf Basis einer sehr aufwän-digen Ermittlungsmethode einen Gesamtinstandhaltungsbedarf von über 55 Mio € für die nächsten zehn Jahre ausweist. Es wird eine Herausforderung für uns alle sein, die betroffenen städtischen Immobilien in ihrer Substanz und in ihrem Wert zu erhalten.

In diesem Kontext möchten wir auch die Kämmerei ermuntern, wie schon in der Vorlage zum städtischen Kindergarten in der Katharinenstraße die Folgekosten bei mittleren und größeren Investitionsmaßnahmen dezidiert auszuweisen. Es ist eben mit dem bloßen haushalterischen Bereitstellen von Investitionsmitteln nicht getan, für die umfassende und abschließende Beurteilung eines Projektes durch Stadtverwal-tung und schlussendlich uns Stadträten gehören auch die laufenden Betriebs- und Unterhaltskosten mit dazu.

Ferner wäre ein rollierender Investitions- und Einsatzplan (mit z.B. gefahrenen Kilo-meter, Betriebsstunden) von Fahrzeugen und Maschinen als weitere Informations-grundlage an den Gemeinderat für uns von Interesse.

Zu einigen exemplarischen Maßnahmen im Einzelnen:

1. Wir setzen hohe Erwartungen in das global operierende und überaus erfahrene Stadtentwicklungsbüro Albert Speer & Partner, die die von Bürgerschaft, Verwaltung, Gemeinderat und Wirtschaft abgegebenen Inputs in das Master-planverfahren einzuarbeiten und dann auch ein dem stattlichen Honorar adä-quates, fundiertes und qualifiziertes Regiebuch bis 2025 in die zweite Diskus-sionsrunde demnächst einzubringen. Und diese Vorschläge sollten deutlich über eine bloße Aufhebung der Einbahnstraßenregelungen in Tuttlingen hi-nausgehen.
2. In diesem Kontext sehen wir die pauschal mit 500.000 € eingestellten Mittel für die Umsetzung des Masterplans als ersten Schritt, wenn man „nur“ die Ver-kehrsinfrastruktur isoliert betrachtet. Wobei der Planungsansatz ja eigentlich weitaus größer gefasst wurde.
3. Die im Haushalt 2012 und fortfolgende zum Teil mittels Verpflichtungsermäch-tigung aufgelisteten Sanierungskosten einzelner, innerstädtischer Straßen sind für uns noch mit Fragezeichen versehen und zu hinterfragen. Braucht es wirklich 850.000 € für die Sanierung der Kanalstraße, werden dort die Kanal-deckel dann vergoldet? Ein Kreisverkehr an der Schmelze wurde zwar immer wieder ins Gespräch gebracht, aber unseres Wissens nicht beschlossen. Ist der überhaupt sinnvoll, wenn zur Begründung eines Kreisverkehrs annähernd gleiche Verkehrsströme aus allen Richtungen der Zuführungsstraßen voraus-gesetzt werden?
4. Wir sollten grundsätzlich prüfen, ob die sehr aufwändige und damit teure Grundsanierung des Straßennetzes in dieser Zeit nicht durch kostengünstige-re, wenn auch nicht ganz so dauerhafte Lösungen wie z.B. Dünnschichtkalt-asphaltdecken, zugunsten einer weitaus größeren Menge an Sanierungsmaß-nahmen ersetzt werden kann.
5. Aus allen Fraktionen dieses Gremiums hört man zu Recht immer wieder klare Bekenntnisse zur Aufwertung der Innenstadt. Ich denke, es gäbe einen gro-ßen Konsens zur Verkehrsberuhigung des Willy-Brandt-Platzes am ZOB, wenn die Realisierung des Shoppingcenters „UNION-AREAL“ kommen würde. Dies hätte dann auch maßgebenden Einfluss auf die künftige innerstädtische Verkehrsführung, insbesondere in Zeughaus-, Möhringer-, Wilhelm-, Karl- , Bahnhof- und Weimarstraße.
6. Daraus muss dann auch die Umfeldgestaltung des BIRK-AREALS resultieren: Hier würde es unseres Erachtens Sinn machen, zusammen mit einer Realisie-rung dieses Wohnbebauungs-Großprojektes neben der Karl- auch die Bahn-hofstraße zwischen Wilhelm- und Karlstraße mit zu sanieren.
7. Die Bahnhofstraße in ihrem westlichen Bereich ab Karlstraße wäre im Hinblick auf die Aufwertung der Innenstadt ebenfalls dringend sanierungsbedürftig,  allerdings sollte dies im Kontext eines neuen Nutzungskonzeptes des HERTIE-/RENZ-AREALS in Angriff genommen werden.
8. Die im Haushalt aufgenommene Zufahrt von der Theodor-Heuss-Alle zu den Landkreisschulen basierte auch auf einem Vorschlag aus unseren Reihen, wir begrüßen diese Maßnahme ausdrücklich, auch als deutliche Entlastung der Stuttgarter Straße.
9. Generell sehen wir für Tuttlingen einen erheblichen Sanierungs- und Stadt-entwicklungsbedarf – auch und gerade im privaten Bereich – für den wir in der Masterplandiskussion ein eigenes „Entwicklungsleitbild“ formulieren sollten.
10. Für die langfristige Umsetzung dieser Ziele bitten wir die Stadtverwal-tung, in einer Nutzwertmatrix Vor- und Nachteile einer neu zu gründenden „Stadtentwicklungsgesellschaft“ (SEG) unter Einbeziehung privater Investoren aufzuzeigen. Diese SEG Tuttlingen könnte quartiers- oder objektbezogene Stadtentwicklungsmaßnahmen durchführen,  indem sie am Markt angebotene Grundstücke und Gebäude erwirbt und im Dialog mit den interessierten Bürge-rinnen und Bürgern und investitionswilligen Gewerbe- und Handeltreibenden des Quartiers Neukonzeptionen entwickelt.
11. Den weitergehenden Ausbau der Kinderkrippenplätze begrüßen wir, da dies erst die Grundlage für die Wahlfreiheit der Eltern bietet, ihre Kinder zu-nächst selbst zu betreuen oder in diese Einrichtungen zu geben. Wir hoffen, dass der Arbeitsmarkt in Tuttlingen entsprechende Stellen, auch in Teilzeit, für Frauen nach der Elternzeit bietet.
12. Wir begrüßen ganz besonders die geplante Partnerschaft mit der priva-ten Kinderbetreuungseinrichtung DENK MIT, einer etablierten und qualifizier-ten Anbieterin von Kinderkrippenplätzen, die zahlreiche Einrichtungen in Bayern und ab Herbst auch hier in Trossingen erfolgreich führt. Wir könnten uns zum Wohle der nachfragenden Familien, der zu betreuenden Kleinkinder und des städtischen Haushalts eine noch weitaus umfangreichere Zusammenarbeit gut vorstellen.

An dieser Stelle komme ich zum Schluss der exemplarischen Aufzählung, da ich die Konzentrationsfähigkeit der geneigten Zuhörerschaft in dieser fünften Haushaltsrede nicht überstrapazieren möchte. Wir freuen uns auf die vor uns liegenden Stadtplanungs- und weitern Stadtratsaufgaben, wohl wissend, dass wir nie fertig werden und im Wandel die Beständigkeit liegt. Der athenische Politiker und Feldherr Perikles hat unsere Aufgabe es um 500 vor Christus so formuliert (ich zitiere): „Wer an den Dingen der Stadt keinen Anteil nimmt, ist kein stiller, sondern ein schlechter Bürger.“

Wir bedanken uns bei Ihnen, Herr Oberbürgermeister Beck, Herr Erster Bürgermeis-ter Buschle und Herr Bürgermeister Kamm sowie bei allen Kolleginnen und Kollegen des Gemeinderats für die konstruktive und gute Zusammenarbeit. Unserem Kämmerer, Herrn Keller, und seinem Team danken wir für die Erstellung des vorliegenden, umfangreichen Haushaltsplans und für die ergänzenden Hinweise und Erläute-rungen. Allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadtverwaltung danken wir für ihre geleistete Arbeit zum Wohle unserer schönen und lebenswerten Stadt Tuttlingen.

Ferner möchten wir auch unseren besonderen Dank an alle Bürgerinnen und Bür-gern aussprechen, die sich in unseren zahlreichen Vereinen und Organisationen mit ihrem ehrenamtlichen Engagement zum Wohle unserer Stadt einbringen.

Dem Tuttlinger Haushaltsplan für das Jahr 2012 stimmt die FDP-Fraktion mit den zuvor genannten Konsolidierungserwartungen im Hinblick auf die Verschuldungssituation zu.

Es gitl das gesprochene Wort.