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Schüleraustausche im
Wandel der Zeit

Wie erleben Schülerinnen und Schüler einen Austausch? Welche Erinnerungen bleiben zurück? Mehrere frühere Teilnehmende von Begegnungen zwischen Tuttlingen und Bex erinnern sich:

Ulrich Bergfelder, Austausch mit Bex 1959:
„Meine Liebe zum Süden war geboren“

Ja, 60 Jahre sind es nun her, dass ich für ein halbes Schuljahr nach Bex-les-Bains in der französischen Schweiz zum Schüleraustausch geschickt wurde.

Die Welt war damals noch groß und unbekannt, und die französische Schweiz für mich weit weg und fremd. Wir Deutschen waren nicht gerade beliebt in dieser Zeit, und ich war stolz, beim ersten Schüleraustausch mit der französischen Schweiz dabei zu sein.

Die Familie, in der ich dann unterkam, war eigentlich eine italienische Familie. Romano hießen sie. Der Vater war Steinmetz und machte vor allem Grabsteine. Die Mutter leitete das Bahnhofscafé in Bex, das war etwas außerhalb der Stadt, an der Endstation der Straßenbahn, direkt am Bahnhof.

Im Garten waren Platanen, man schaute auf die Bergkette der „Dents du Midi“, und der Genfer See war nur 20 Kilometer entfernt, sogar mit dem Fahrrad erreichbar. Vom ersten Tag an musste ich französisch sprechen, keiner sprach deutsch, im Café lief Hawaii-Musik vom Tonbandgerät, das liebte meine neue Mutter, und ab und zu bekam ich eine Grenadine à l’eau. Dafür musste ich dann auch die Tische abräumen und darauf achten, ob neue Gäste da waren. Am Bahnhof gab es einen Automaten mit Marzipan, was ich schon damals sehr liebte, und ab und zu rauchte ich auch schon mal heimlich eine „Parisienne“. Latein hatte ich bei Monsieur Hourriet, dem Direktor des Gymnasiums, wir waren nur zu viert, und der Unterricht war nur auf Französisch.

Nach fünf Monaten sprach ich fließend Französisch, und meine Liebe zu Frankreich, zum Süden, zu den Platanen war geboren und ist bis heute geblieben. Ich lebe inzwischen in Italien und glaube, dass der Aufenthalt in Bex bei mir den Wunsch nach Reisen, nach der Fremde und vor allem nach dem Süden geweckt hat.

Ich wünsche allen jungen Leuten so eine Chance, mal für eine Zeit in einem fremden Lande zu verbringen, Fremdes kennen zu lernen und offen zu sein für andere Welten.

Daniel Heber, Austausch mit Bex 1994
„Vier der schönsten Frühlingswochen meiner Jugend“

Es war in meinem achten Schuljahr am Immanuel-Kant-Gymnasium in Tuttlingen, als die Gymnasien bei den Eltern und Schülern für den langjährigen Schüleraustausch mit Bex warben. Für uns bestand die Möglichkeit, für vier Wochen im Frühjahr des Jahres 1994 um die Zeit des Osterwochenendes am Schulunterricht in Bex teilzunehmen und die restliche Zeit in Gastfamilien zu verbringen.

Die Verbindungslehrer auf deutscher und Schweizer Seite informierten die Eltern, machten interessierte Familien ausfindig und stellten den Kontakt her. Anschließend war es unsere Aufgabe. sich mit einem selbstgeschriebenen Brief auf Französisch den jeweiligen Gastfamilien vorzustellen. Zwei Wochen vor dem Osterwochenende trafen sich dann Eltern, Schüler und die Verbindungslehrer am Tuttlinger Bahnhof. Nach einer vierstündigen Zugfahrt kamen wir in Bex an und wurden von unserer Gastfamilien abgeholt. Danach waren wir Schüler erst einmal auf uns gestellt.

In meinem Fall war die Situation besonders. Obwohl mein Brief angekommen war, hatte ich die Antwort nie erhalten. Am Bexer Bahnhof angekommen musste ich wie das ungeliebte Entlein warten, bis sich alle „Pärchen“ gefunden hatten. Die Gasteltern, die ohne deutschen Austauschschüler übrigblieben, waren meine. Ich hatte keine Ahnung, wo ich hinkam und wieviel Kinder mich in der Familie erwarteten.

Ich wurde in einer Familie mit zwei Brüdern aufgenommen. In einem kleinen Weiler oberhalb von Bex in der Nähe eines verwunschenen Waldes erlebte ich eine der schönsten vier Frühlingswochen meiner Jugend. Mir gefiel die Zeit in der Westschweiz so gut, dass ich das achte Schuljahr in Bex wiederholte und somit ein weiteres Jahr mit meiner Gastfamilie verbrachte. 25 Jahre später besuche ich meine (Gast-)Familie immer noch regelmäßig und bin mittlerweile inoffiziell von der Familie adoptiert worden.

Besonders gerne erinnere ich mich an das geregelte und idyllische Leben in den zahlreichen kleinen Gemeinden. Viele Familien wohnen tatsächlich in einem Chalet und bestechen durch ihre Herzlichkeit. Mit den zahlreichen Freizeitmöglichkeiten kann man sich schnell integrieren und die Freundschaft zu vielen Schweizer Klassenkameraden hat mich jahrelang geprägt.

Die Westschweiz und der Austausch mit Bex im Besonderen waren und sind eine einmalige Erfahrung – wenn man sich voll und ganz darauf einlässt!

Mara Eppel und Magdalena Spies,
Austausch mit Bex 2023/24:
„Schule erst um 8.15 – War das schön!“

Voller Vorfreude fuhren wir am 9. Oktober 2023 um 8 Uhr in Tuttlingen los, um viereinhalb Stunden später in Bex anzukommen. Furchtbar aufgeregt sahen wir unsere Gastfamilien schon von weitem. Beladen mit unseren großen Koffern und Taschen ging es für jeden von uns einzeln weiter. Wir beide hatten großes Glück, dass unsere Austauschschülerinnen beste Freundinnen waren. In den folgenden Tagen trafen wir uns immer vor der Schule, um gemeinsam Ausflüge zu unternehmen.

Zu unserer Überraschung fing dort die Schule erst um 8:15 Uhr an, eine Dreiviertelstunde später, als bei uns. War das schön! Wir Tuttlinger und die Bellerins hatten viel Spaß in einer Salzmine, in einer Schokoladenfabrik und in Gruyère, der Heimat des weltbesten Käses. Man könnte meinen, wir sind nur zum Essen nach Bex gekommen. Am Freitag der ersten Woche, ging es erst richtig los, da jetzt die Ferien in Bex begannen und wir nun die nächste Woche in unserer Familie verbringen würden. Doch wir hätten uns gar keine Sorgen machen müssen, denn wir unternahmen ganz viele weitere tolle Ausflüge. Ein Tag aber war besonders toll, weil wir zwei uns mit unseren Austauschpartnerinnen auf einem Spielplatz getroffen haben, dort einen Film gedreht haben, später einkaufen waren, Pizza gebacken und einen Film angeschaut haben. Zwischendurch gab es eine Halloweenparty, die auch gleichzeitig als verfrühte Abschiedsparty diente. Doch der Freitagmorgen kam und unsere 12 Tage in Bex waren vorbei. Traurig unsere Austauschschülerinnen zu verlassen, aber dennoch froh wieder nach Hause zurückzufahren, stiegen wir in den Zug und ließen Bex mit wundervollen Erinnerungen zurück.