OB Michael Beck zum Jahreswechsel: "Zuwanderung ist eine Herausforderung - für alle Beteiligten"
23.12.2015
Was war 2015 das wichtigste Thema? Man muss nicht lange nachdenken, um auf diese Frage eine Antwort zu finden. Und ich bin sicher: Den meisten von Ihnen wird es ähnlich gehen wie mir. Denn nichts bestimmte die Diskussionen der letzten zwölf Monate so sehr wie die Flüchtlingsthematik. Sie war in den Medien genauso präsent wie in den Diskussionen des Gemeinderates und vor allem auch auf privater Ebene. Auch Menschen, die sich sonst nicht über Politik unterhalten, diskutierten auf einmal darüber, wie unser Land am besten darauf reagieren soll, dass Hunderttausende von Menschen aus Syrien, aus Irak, dem Iran und vielen anderen Ländern bei uns Schutz, Geborgenheit und neue Perspektiven suchen.
Oft war in diesem Zusammenhang von der Flüchtlingskrise die Rede. Oder von Flüchtlingsströmen. Mir gefallen beide Worte nicht. Sie legen nahe, dass eine gefährliche Macht uns bedrohen würde - unsere Gesellschaft, unseren Wohlstand, unsere Art zu leben. Ich sehe dies nicht so. Ich betrachte den Zuzug von Flüchtlingen eher als Herausforderung. Und eine solche meistert man mit Mut, Tatkraft und Zuversicht – nicht mit Angst, Hysterie und Widerwillen. Ich will dabei gar nicht abstreiten, dass es Probleme gibt und geben wird. Aber es liegt auch an uns, wie groß man sie werden lässt.
In Tuttlingen haben wir bislang viel Glück gehabt. Die Lage in der Stadt ist nach wie vor ruhig. Nennenswerte Probleme mit Flüchtlingen gab es ebenso wenig wie offen zur Schau gestellte Fremdenfeindlichkeit. Dies ist auch ein Verdienst aller haupt- und ehrenamtlicher Helfer, die sich um Flüchtlinge kümmern und so christliche Werte wie Nächstenliebe offen vorleben. Ihnen gebührt an dieser Stelle mein Dank und meine Anerkennung. Im neuen Jahr werden die Aufgaben aber nicht weniger: Nach der akuten Hilfe für die Neuankömmlinge geht es nun darum, die Menschen zu integrieren: In Schulen und Kindergärten, in Ausbildungen und Arbeitsverhältnisse, in Vereine – aber auch in unsere Gesellschaft und unser Wertesystem. Wir müssen vermitteln, dass unsere Gesellschaft sowohl von der christlichen Tradition als auch von der Aufklärung geprägt ist. Grundlegende Werte wie die Toleranz gegenüber anderen Religionen, die Gleichstellung der Frau und die Freiheit des Individuums sind unverhandelbar und gelten für jeden, der in unserem Land lebt. Die Akzeptanz dieser Werte wird so zum Gradmesser für den Erfolg von Integration – und wird darüber entscheiden, ob die Zuwanderung von heute als Erfolg in die Geschichte eingehen wird oder nicht.
Wie künftige Generationen unsere Zeit beurteilen werden, können wir noch nicht wissen. Andererseits ist es wichtig, dass wir die Vergangenheit nicht aus den Augen lassen. In diesem Zusammenhang denke ich auch gerne an ein Ereignis zurück, dass für mich zu den berührendsten des zu Ende gehenden Jahres gehört: Die Einweihung des Julius-Fröhlichs-Platzes und der Besuch seines Sohnes Amos Fröhlich. Die Benennung eines Platzes nach einem jüdischen Mitbürger, der einst von den Nazis vertrieben wurde, war für mich eine wichtige Aussage, der Besuch und die Rede seines Sohnes ein überwältigendes Zeichen der Aussöhnung. Vor allem machte es uns deutlich, dass sich das aktuelle Thema von Flucht und Vertreibung wie ein roter Faden durch die Geschichte zieht.
Bei aller Bedeutung der Flüchtlingsthematik dürfen wir aber unsere anderen Aufgaben nicht vergessen. Und wir dürfen auf keinen Fall zulassen, dass es künftig Bedürftige erster und zweiter Klasse gibt. Dies gilt zum Beispiel für das Thema Wohnraum: Hier haben wir generell Bedarf an günstigen Angeboten – und zwar für die unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen. Hier wieder stärker aktiv zu werden, wird eine der wichtigsten Aufgaben für das kommende Jahr.
Aber auch die zentralen Themen der zurückliegenden Jahre beschäftigen uns weiter. Ich denke hier nur an die verschiedenen Schulbauten, allen voran die Gymnasien. Dieses 30-Millionen-Euro-Projekt wird uns über mehrere Jahre beschäftigen – ebenso die Neugestaltung der Fußgängerzone.
Dass Tuttlingen gleich zwei solcher Großprojekte starten kann, spricht für die ungebrochene Leistungsfähigkeit unserer Stadt. Auf unsere Unternehmen und die dort Beschäftigten ist nach wie vor Verlass. Dies dürfen wir aber nicht als selbstverständlich betrachten. Ein Standort will auch gepflegt werden. Aus diesem Grund investieren wir im neuen Jahr in wichtige Zukunftsprojekte wie die Breitbandverkabelung und das ITZ beim Hochschulcampus. Wir werden aber auch das Thema Gänsäcker wieder aufgreifen. Es kann nicht sein, dass innovative Unternehmen, um die uns andere Städte beneiden würden, nur deswegen abwandern, weil wir ihnen kein Bauland anbieten können.
Mehr Flächen brauchen wir auch für den Wohnbau. Und hier geht es mir nicht nur um Flüchtlinge: Unsere Stadt braucht generell mehr Flächen für neue Einwohner. Wir müssen den Trend stoppen, dass Jahr für Jahr mehr Menschen hier arbeiten aber immer weniger hier wohnen. Denn eine Stadt, die wie Tuttlingen zahlreiche Angebote bereithält, braucht auch eine gewisse Einwohnerzahl, um diese finanzieren zu können. Das gilt für Kultur und Sport genauso wie für soziale Projekte. Und dass vor allem letztere immer wichtiger werden, spüren wir jeden Tag - auch und gerade in einer älter werdenden Gesellschaft.
Das Jahr 2016 bringt uns also zahlreiche Aufgaben. Manche nehmen wir aus dem alten Jahr mit, neue kommen hinzu. Lassen Sie uns all dies mit Tatkraft und Mut angehen.
Ich wünsche Ihnen allen einen guten Jahreswechsel, einen guten Start ins Jahr 2016, Gesundheit, Glück und Gottes Segen.
Michael Beck
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