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OB Beck besucht Hertie-Mitarbeiter - Stimmung zwischen Wut und Resignation


Ärger über die Hertie-Eigentümer und –Immobilienbesitzer, aber auch ein Stückweit Hoffnung äußerte Oberbürgermeister Michael Beck bei seinem Besuch bei der Hertie-Belegschaft am Donnerstag. Spätestens am 15. August schließt das Warenhaus in der Bahnhofstraße.

Hertie
Im Gespräch mit den Mitarbeitern: Tuttlingens Hertie-Geschäftsführer Matthias Seidel und OB Michael Beck.

An der Pinnwand hängen Aufrufe der Gewerkschaft und Informationen der Agentur für Arbeit. An der Türe klebt ein fotokopierte Karikatur: „Motto für 2009: Niemals aufgeben“ steht darunter. Und um den Tisch im Hertie-Personalraum sitzen rund 30 Männer und Frauen, die bis zum Schluss nicht aufgeben wollten. Sogar eine Modenschau haben sie noch organisiert, als alle anderen schon von Schließung redeten.

Mittlerweile ist bei einigen der Durchhaltewille geschwunden. „Ich habe schon 30 Bewerbungen geschrieben“, berichtet eine Frau resigniert. Und eine andere blickt zurück: „32 Jahre habe ich in diesem Haus gearbeitet. So wollte ich nicht abgehen.“ Wut, Verzweiflung und Fassungslosigkeit herrschen am Donnerstagmorgen, als Oberbürgermeister Michael Beck die Hertie-Mitarbeiter und den Tuttlinger Geschäftsführer Matthias Seidel besucht. Zusammen mit Erstem Bürgermeister Emil Buschle und City-Manager Claudius Mähler ist er gekommen, um sich direkt mit den betroffenen Mitarbeitern auszutauschen. „Wir wurden ein Stückweit vorgeführt“, sagt Beck mit Blick an die Adresse des Hertie-Eigentümer. Reine Show sei es gewesen, als bei einem Treffen von Bürgermeistern der Hertie-Städte von Rettungskonzepten die Rede war. „Niemand dachte daran, die Standorte zu halten.“

Hoffnung, dass das Kaufhaus doch noch gerettet wird, kann auch Beck den Mitarbeitern nicht machen. Knackpunkt sei der Preis, den die Eigentümergesellschaft für das Gebäude aus den 1970er-Jahren angesetzt hat. „Markt- und Buchwert klaffen hier meilenweit auseinander“, so Beck. Dies sei auch das Hauptproblem für den speziell für Tuttlingen ausgearbeiteten Plan von Geschäftsführer Matthias Seidel gewesen. Auf diese und andere Konzepte setzten viele der Mitarbeiter bis zuletzt ein Stück Hoffnung. Diese ist jetzt verflogen. Und beim Treffen am Donnerstagmorgen fließen Tränen.

„Es ist traurig, dass hier eine bewährte Mannschaft auseinandergerissen wird“, sagt Erster Bürgermeister Emil Buschle. Doch auch er macht deutlich, dass die Stadt alleine kein Kaufhaus erhalten kann. Sie kann nur einen Neuanfang unterstützen – zum Beispiel durch Sanierungsmittel. Oder durch Verhandlungen mit potenziellen Investoren. „Wir reden mit Projektentwicklern und potenziellen Betreibern“, erklärt OB Beck. „Wir haben als Stadt ein großes Interesse, dass der Einzelhandel läuft.“ Und vor allem: „Wir wollen vermeiden, dass an Stelle von Hertie ein Brache entsteht.“

Darin sieht Beck auch eine Chance für das ehemalige Hertie-Team. „Tuttlingen hat mit die höchste Kaufkraft im Land“, sagt er. Wenn Hertie wegfällt, liege diese brach – so dass Neuansiedlungen anderer Firmen wahrscheinlich seien. „Hier haben Sie mit Erfahrung die besten Chancen“, so der Oberbürgermeister. Ein Neuanfang sei wahrscheinlich – wenn auch nicht unter dem Namen Hertie oder im Waschbetonbau mit Blick auf die Donau.

Noch freilich herrscht Betrieb im Kaufhaus in der Bahnhofstraße. Und kurz vor neun beendet Geschäftsführer Seidel auch das Gespräch. Denn vor der Tür warten Kunden, die auf Rabatte und Schnäppchen warten. „Wir machen zurzeit Umsätze wie im Weihnachtsgeschäft“, berichtet Seidel. Und das Hertie-Management beliefert weiter die Tuttlinger Filiale. Allerdings mit Billigware, die direkt aus der Kiste raus verramscht wird. Und auch das Kundenbild hat sich gewandelt. Die Mitarbeiterinnen klagen über rabiate Käufer, Gedrängel und Schiebereien an den Wühltischen. Aber Matthias Seidel gibt eins zu bedenken: „Jeder Tag, den wir noch öffnen können, bedeutet einen Tag länger Gehalt“.