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Dritte Stolpersteinverlegung in Tuttlingen – Erinnerung an fünf weitere NS-Opfer


Am Mittwoch, 14. November, kommt der Künstler Gunter Demnig zur dritten Mal zur Stolpersteinverlegung nach Tuttlingen. Die Steine werden für Opfer des Nationalsozialismus gelegt – dieses Mal werden drei Euthanasieopfer, ein politisch Verfolgter und ein in Tuttlingen hingerichteter Zwangsarbeiter berücksichtigt. Die Legung beginnt um 9 Uhr mit dem Stein für Eugen Birkle.
 
„Gerade in Zeiten, in denen die NS-Diktatur immer wieder verharmlost wird, ist es wichtig, eine aktive Erinnerungskultur zu pflegen“, so OB Michael Beck. Aus diesem Grund wurde nun bereits zum dritten Mal der Künstler Gunter Demnig eingeladen, um weitere seiner Stolpersteine in Tuttlingen  zu verlegen. Diese erinnern an die letzten Wohnorte von NS-Opfern – im Laufe der Jahre wurde das Projekt zum größten dezentralen Mahnmal Europas.
 
Erste Station der nächsten Verlegung ist am Gebäude Auf dem Schafrain 10, dem letzten frei gewählten Wohnort von Eugen Birkle. Der 1884 geborene Birkle diente im Ersten Weltkrieg und wurde wiederholt verletzt. Heimgekehrt arbeitete er in verschiedenen Tuttlinger Schuhfabriken als Maschinenzwicker. Die Erinnerungen an den Krieg ließen ihn jedoch nicht mehr los, so dass er ab August 1928 nicht mehr arbeiten konnte. Im Dezember 1929 ordnete der Amtsarzt die Unterbringung in einer Psychiatrie an, woraufhin er in die Heilanstalt Zwiefalten gebracht wurde. 1932 wurde er nach Rottweil in die Heilanstalt Rottenmünster überführt, wo er bis 1940 blieb. Von Rottenmünster brachte ihn einer der berüchtigten grauen Busse der SS nach Grafeneck, wo er am 3. Februar 1940 ermordet wurde.


Eugen Birkle
 
Im gleichen Bus saß auch sein Nachbar Erwin Huber, der in der Goethestraße 11 wohnte. Er wurde 1903 geboren. Spätestens 1924 erkrankte er an „Schizophrenie“. Diese Krankheitsbezeichnung wurde damals für fast alle psychischen Störungen verwendet und sagt wenig über das Krankheitsbild aus. Über seine genaue Erkrankung ist nichts bekannt. Am 3. Februar 1940 brachte die SS ihn von der Heilanstalt Rottenmünster nach Grafeneck, wo er noch am gleichen Tag ermordet wurde.
 
Emil Gerach (Auf dem Schafrain 17) war überzeugter Kommunist, warb auch in der Zeit des Nationalsozialismus für seine politischen Ideen und geriet dabei an den Falschen. Er wurde denunziert, verraten, angeklagt, verurteilt und verbüßte eine mehr als zwei Jahre dauernde Strafe im Gefängnis Brandenburg-Görden. Während der Verhandlung musste er erkennen, dass sein vermeintlicher Freund Hugo Dieterle als Informant für die Gestapo gedient hatte. Nach dem Krieg wurde das Urteil aufgehoben.
 
Was Karl Josef Zepf, der im Gebäude Auf dem Schafrain 19 wohnte, aus der Bahn geworfen hat, weiß man bis heute nicht. Er galt als intelligenter Mann und lernte wie sein Vater den Beruf des Instrumentenmachers. 1931 wurde er arbeitslos und bald zeigten sich die ersten Krankheitssymptome, sodass er 1933 erstmals in die Heilanstalt Rottenmünster aufgenommen wurde. 1936 wurde er dauerhaft in die Heilanstalt Zwiefalten und später nach Schussenried verlegt. Am 18. Juni 1940 brachte einer der grauen Busse der SS ihn nach Grafeneck, wo er auch gleich getötet wurde.
 
Der Zwangsarbeiter Boleslaw Prochazka wurde 1940 im Alter von 16 Jahren verhaftet und nach Deutschland deportiert. Zunächst war er dem Wurmlinger Landwirt Josef Zepf als Zwangsarbeiter zugewiesen, konnte aber im Dezember 1940 fliehen. Bei Nürnberg wurde er aufgegriffen und im September 1941 nach Tuttlingen zurück überstellt. Im Januar 1944 floh er in die Schweiz, wurde in Schaffhausen aufgegriffen und ins Auffanglager Ringlikon und dann ins Arbeitslager für Internierte in Bürten Reigoldswil überstellt. Im Mai floh er Richtung Deutschland, denn er wollte seine Braut und einen Freund ebenfalls retten. Bei einem erneuten Grenzübertritt wurde er dann verhaftet. Boleslaw Prochazka wurde am 28. August 1944 um 18.20 Uhr unter der Leitung der Gestapo durch zwei Häftlinge erhängt. Der Stolperstein für Boleslaw Prochazka wird vor dem Gebäude Äußerer Talhof 1 verlegt. Ein Bus bringt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von der Haltestelle Schafrain zur Haltestelle Hühnerhof und wieder zurück.


Boleslaw Prochazka
 
Zur Verlegung tragen Schülerinnen und Schüler des Otto-Hahn-Gymnasiums die Biografien der Opfer vor. Musikalisch umrahmt wird die Verlegung von Volker Wagner (Saxophon). Die Stolpersteinverlegung ist öffentlich.