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Weißtannen-Experten Tagen in Tuttlingen - Eh-rung für Forstverwaltungs-Leiter Hubert Gei-ger


Am 04. Mai 2018 fand vormittags in der Stadthalle Tuttlingen und nachmittags im Stadtwald Tuttlingen mit einer Beteiligung von ca. 50 Personen eine Informationsveranstaltung der ANW-Weißtannenoffensive statt.
Bei der im Februar 2017 gestarteten Weißtannenoffensive handelt es sich um ein bundesweites Projekt, das von der Bundes-ANW koordiniert und durch die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. mit Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft gefördert wird. Das Ziel der Weißtannenoffensive ist das Sammeln von Praxis- und Forschungswissen um die Weißtanne sowie dessen Weitervermittlung an interessierte Förster, Waldbesitzer und Vertreter der Holzwirtschaft. Angesichts des Klimawandels und der dadurch benachteiligten Fichte (hohe Anfälligkeit gegenüber Trockenheit, Borkenkäferbefall und Sturm) soll die Weißtanne als Klimawandel verträglichere, wirtschaftlich interessante und ökologisch unbedenkliche Nadelbaumart auch außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebiets gefördert werden.
Nach einer kurzen Einführung in die Thematik durch Franz-Josef Risse (ANW-Landesvorsitzender) und Timo Ackermann (Projektleiter ANW-Weißtannenoffensive) hielt Emil Buschle, 1. Bürgermeister der Stadt Tuttlingen, eine Begrüßungsrede: er wies darauf hin, dass im 3.467 ha großen Stadtwald mit Amtsantritt von Hubert Geiger (Forstbetriebsleiter) vor 28 Jahren eine grundlegende waldbauliche Umsteuerung begann: durch sofortige Einstellung der Fichten-zentrierten Kahlschlagwirtschaft, durch Wiedereinbringung der Weißtanne und vor allem durch Förderung einer waldfreundlichen Schalenwildbejagung. Die Umstellung war zu Beginn im Stadtrat sehr umstritten und es traten massive Widerstände der Jägerschaft auf: schließlich wurde aber beschlossen, auf 50% der Stadtwaldfläche die jagdliche Eigenbewirtschaftung einzuführen, d.h. bisherige Jagdverpachtungen zugunsten des Waldes, und im Speziellen der Weißtanne, zu beenden. Der Erste Bürgermeister dankte Herrn Geiger ausdrücklich für dessen Standhaftigkeit und Beharrlichkeit. Die waldbauliche und jagdliche Wende in Tuttlingen habe heute eine bundesweite Ausstrahlung und Vorbildfunktion für andere Kommunen.
In einem wissenschaftlich fundierten Referat von Dr. Hans-Gerhard Michiels (Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg) wurden die ökologischen Eigenschaften der Weißtanne umfassend und differenziert dargestellt. Die Weißtanne besitzt auch außerhalb der traditionellen Weißtannengebiete (Schwarzwald, Schwäbisch Fränkischer Wald, Albtrauf), zumindest auf wasserbegünstigten oder luftfeuchten Standorten, auch im Klimawandel großes Wuchspotential, welches heute bei weitem nicht ausgeschöpft ist. Von großem Vorteil ist ihr tiefreichendes Wurzelwerk, ihre Schattenverträglichkeit, und ein Holzzuwachs bis ins hohe Alter. Naturgemäße Waldpflege, Mischung mit Laubbäumen und tannenfreundliche Schalenwildbejagung sind aber zwingende Voraussetzung.
Der bekannte Weißtannen-Kenner Wolf Hockenjos (Forstamtsleiter i.R..) erläuterte mit zahlreichen Bildern den katastrophalen historischen Niedergang der Weißtanne in den letzten Jahrhunderten und beschwor eine Renaissance dieser wirtschaftlich wertvollen und Stabilität schaffenden Mischbaumart. Die Weißtanne sei angesichts des Klimawandels ein Hoffnungsträger und eine sinnvolle Alternative zur Fichte. Es bedürfte aber verstärkter Anstrengungen: konsequenter Tannenpflanzungen (Vorbau in Fichtenbeständen so früh und großflächig wie möglich), tannengerechter Jagd nach dem Motto „Wald vor Wild“ sowie einer strikten Vermeidung von Kahl- und Räumungshieben.
Im Rahmen der vormittäglichen Vortragsveranstaltung wurden im Namen der ANW Landesgruppe Baden-Württemberg zwei außerordentlich verdiente Forstpraktiker mit der Verleihung der Dr. Karl Dannecker Medaille geehrt: Hubert Geiger (Leiter der Städtischen Forstverwaltung Tuttlingen) und Wolfgang Steier (staatlicher Revierleiter im Forstrevier Mutterslehen in Bernau / Südschwarzwald). Dr. Karl Dannecker war der erste ANW-Vorsitzende Deutschlands und glühender Verfechter Weißtannen-reicher Plenterwälder.
Meinhard Süß, ehemaliger Forstamtsleiter von Oberammergau und 2. Vorsitzender der ANW Bayern, hielt die Laudatio auf Hubert Geiger: dieser habe sich, wie bereits von Bürgermeister Buschle angedeutet, große Verdienste erworben durch konsequente Umstellung auf naturgemäßen Waldbau (Stopp der störungsanfälligen Fichten zentrierten Kahlschlagswirtschaft, Einrichtung von Pflegeblöcken, regelmäßige Entnahme stark rotfauler Fichten, gezielte Förderung des Laubholzes und der vorhandenen Weißtannen, schließlich auch Tannen-Einbau), durch Einführung periodischer Betriebsinventuren, und vor allem auch durch eine waldgerechte Jagdwende. Damit wurde der Weißtanne im Tuttlinger Stadtwald wieder eine Zukunftschance gegeben. Charakteristisch für Hubert Geiger sei sein großes Wissen, seine Beharrlichkeit und Standhaftigkeit angesichts von Widerständen und darüber hinaus sein Engagement innerhalb der ANW z.B. bei der Organisation von Auslandsexkursionen und der Kooperation im Rahmen von ANW Projekten.
Dr. Rudi Kynast, Forstamtsleiter i.R., hielt die Laudatio auf Wolfgang Steier: dieser sei 1991 als Revierleiter an das Forstamt St. Blasien abgeordnet worden, ein Forstbezirk mit katastrophalen Rotwild-Schälschäden und null Tannen-Verjüngung. Steier habe der Weißtanne durch intensive Schalenwildbejagung, regelmäßige Bestandespflege ohne Schematismus („freier Waldbau“) und durch großflächige Pflanz- und Saatverfahren eine Renaissance verschafft. Durch seine analytische Auffassungsgabe und sein konsequentes Handeln ohne Rücksicht auf mögliche persönliche Nachteile habe er viel bewegt. Er sei angesichts verwaltungsinterner und externer Widerstände und persönlicher Anfeindungen ein ganzes Berufsleben lang für die Weißtanne buchstäblich „durchs Feuer gegangen“. Wolfgang Steier bedankte sich bei der ANW und dem Laudator für die Ehrung mit einem persönlichen Rückblick auf „25 Jahre für eine verlorene Baumart“.
Der abschließende Vortragsblock in der Stadthalle befasste sich mit der wirtschaftlich und ökologisch relevanten Weißtannenholz-Verwendung. Ewald Elsäßer (ehem. Sprecher des Forums Weißtanne) betonte die besonderen Vorzüge der heimischen Weißtanne im Rahmen einer regionalen Holznutzung:  die gesamte Wertschöpfungskette vom Wald bis zum Endprodukt bleibt in der Region und die Ökobilanz ist sehr positiv aufgrund kurzer Transportwege. Manuel Echtle, Sägewerksbesitzer aus Nordrach im Schwarzwald, gab mit zahlreichen Bildern einen interessanten Überblick über die mannigfachen und innovativen Verwendungsmöglichkeiten von Weißtannenholz im modernen Holzbau. Moderne Produkte ermöglichen nicht nur klassischen Wohnhausbau, sondern auch die Fertigung statisch anspruchsvoller Gebäude. Er nannte diesbezüglich den geplanten Bau des Nationalparkhauses im Schwarzwald und gab Beispiele für die Verwendung von Weißtannenholz beim Bau mehrstöckiger Industriegebäude, Mehrzweckhallen und Hotels.
Am Nachmittag erfolgte unter Leitung von Herrn Hubert Geiger eine mehrstündige Exkursion in den Stadtwald Tuttlingen. Anhand von zwei Waldbildern wurden die betrieblichen Praxiserfahrungen mit örtlicher Tannen-Naturverjüngung (bei Vorhandensein seltener Alttannen), mit der Pflanzung von Weißtannensämlingen in Fichtenreinbeständen und mit den Wegen hin zu einer waldgerechten Jagd thematisiert und diskutiert. Man war sich einig, dass tannengerechte Waldwirtschaft nur dann möglich ist, wenn der Waldbesitzer, die Förster und die Jäger langfristig an einem Strang ziehen.