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Gunter Demnig verlegt fünf Stolpersteine - Erinnerung an Tuttlinger Opfer der NS-Diktatur


Die ersten fünf Tuttlinger Stolpersteine sind verlegt. Der Künstler Gunter Demnig, Ideengeber des europaweiten Gedenkprojektes, setzte sie am Dienstag persönlich.



„Viele waren dabei, alle haben’s gewusst“, sagte OB Michael Beck mit Blick auf die Verbrechen der NS-Zeit. Und nach einer „Zeit des Verdrängens und Vergessens“ sei es nun wichtig, an die Opfer des NS-Terrors zu erinnern – „gerade auch im Hinblick auf die aktuellen Tendenzen“ so der OB. Aus diesem Grund habe der Gemeinderat einstimmig beschlossen, auch in Tuttlingen Stolpersteine zu verlegen – ein Votum, für das sich Beck ausdrücklich beim Gremium bedankte.

Am Dienstag wurden die ersten fünf Steine verlegt. Ebenerdig sind sie in den Boden eingelassen – „sie führen dazu, dass wir uns vor den Opfern verneigen“, so OB Beck. Gesetzt wurden sie von Gunter Demnig. Der Künstler hat seit 1992 über 50 000 Steine in 20 Ländern verlegt. Für diese Idee des größten dezentralen Mahnmals der Welt wurde Demnig mehrfach ausgezeichnet.

Am Dienstag griff Demnig persönlich zu Feistel, Kelle und auch Trennschleifer, durchbrach Pflaster- und Asphaltdecken, rührte Zement an und setzte die Steine mit der glänzenden Oberrfläche. Parallel dazu wurden die Biographien der jeweiligen Opfer von Dr. Frieder Böhme, Dr. Hans-Joachim Schuster, Alexander Röhm, Till Haendle und Gunda Woll vorgestellt. Bernd Glück umrahmte die Zeremonien musikalisch.

„Bisher waren die Biographien unbekannt – jetzt sind sie wieder im Bewusstsein“, so OB Michael Beck. Die Arbeit wird fortgesetzt, weitere Stolpersteine folgen. Und die bis jetzt dokumentierten Lebensgeschichten kann man auf www.stolpersteine-tuttlingen.de nachlesen.

Fünf Stolpersteine – Fünf Schicksale
Pauline Dold geb. Koßmann - Rathausstraße 10
Pauline Dold erkrankte nach der Geburt des zweiten Kindes psychisch. Sie verbrachte längere Zeit in verschiedenen Kliniken, nach dem Tod des Ehemannes kam sie endgültig in die Heilanstalt Zwiefalten. Am 13. August 1940 brachten die grauen Busse der SS sie in die Tötungsanstalt Grafeneck, wo sie ermordet wurde.

Franz Klaiber - Donaustraße 9
Franz Klaiber war Arbeiter in einer Schuhfabrik. Mehrere Erlebnisse als Soldat im Ersten Weltkrieg wurde er nicht mehr los, trotzdem nahm er nach dem Krieg seinen Beruf wieder auf, heiratete und gründete eine Familie. Doch die Nervenleiden kehrten zurück, ab 1925 kam Franz Klaiber in Heilanstalten, zuletzt in die Weissenau. Von dort wurde er 1940 nach Grafeneck gebracht und ermordet.

Albert Ulrich - Am Seltenbach 2
Albert Ulrich litt als Kind unter Rachitits. Als er eingeschult werden sollte, kam er auf ärztlichen Rat in ein Heim der barmherzigen Schwestern des Klosters Reute. Als Erwachsener wurde er in die Pflegeanstalt Heggbach verlegt. Im September 1940 wurde er - wie 193 weitere Anstaltsinsassen - nach Grafeneck gebracht und ermordet.

Reinhold Rall - Am Seltenbach 15
Reinhold Ralls Familie stand der KPD nahe. Einer seiner Brüder wandte sich der NSDAP zu. Bei einer Hausdurchsuchung fand man bei Reinhold Rall kommunistische Schriften, im Tuttlinger Amtsgerichtsgefängnis wurde er inhaftiert. Er starb vermutlich an den Folgen von Misshandlung.

Anoni Midinski - Am Seltenbach 15
Anoni Midinski kam aus der Sowjetunion und war Zwangsarbeiter nach Tuttlingen, wo er im Lager Mühlau lebte. Wegen angeblicher Arbeitsverweigerung wurde er inhaftiert und starb an den Verletzungen, die ihm der Gefängniswärter Eugen Stooss beigebracht hatte.