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Ausstellung über die Anstalt Grafeneck: Erinnerung an Krankenmorde des NS-Regimes



Auch aus Tuttlingen wurden Menschen deportiert, um in der Anstalt Grafeneck ermordet zu werden. Eine Ausstellung im Fruchtkasten erinnert an dieses Kapitel des Kranken- und Behindertenmordes während der NS-Diktatur. Eröffnet wird sie am Montag, 23. Mai, um 19 Uhr im Foyer des Rathauses – am Vorabend der ersten Stolperstein-Verlegung in Tuttlingen.
 
Die Dokumentation im  Fruchtkasten trägt den Titel „Grafeneck 1940 - Geschichte und Erinnerung“ und ist bis 19. Juni im Fruchtkasten zu sehen. Bei der Eröffnung der Ausstellung – aus Platzgründen im Rathausfoyer – begrüßt Oberbürgermeister Michael Beck die Gäste, die Einführung übernehmen Franka Rößner vom Dokumentationszentrum Grafeneck und die Museumsleiterin Gunda Woll.
 
Drei der fünf ersten Tuttlinger Stolpersteine (Pauline Dold, Franz Klaiber und Albert Ulrich) werden für Euthanasieopfer verlegt, die in Grafeneck ermordet wurden. Dies war der Anlass, auch eine Ausstellung zu zeigen, die über die Ermordung von über 10.600 Menschen in Grafeneck im Jahr 1940 informiert. Nach dem heutigen Wissensstand waren es 48 Behinderten- und psychiatrische Einrichtungen, aus denen ab Januar 1940 Männer, Frauen und Kinder in die Tötungsanstalt Grafeneck gebracht wurden.
 
Die Ausstellung gliedert sich zum einen in einen Teil, der sich mit der Tötungsanstalt Grafeneck beschäftigt und zum andern in einen, der die Opfer vorstellt, die in Tuttlingen geboren wurden oder hier lebten und Opfer des Euthanasieprogramms der NS-Diktatur wurden. Es wurden Biografien von 37 Menschen erarbeitet, deren Schicksal jetzt erstmals erforscht wurde.
 
Grafeneck war der erste von insgesamt sechs Orten im nationalsozialistischen Deutschland, an dem Menschen mit dem Ziel einer systematisch-industriellen Ermordung in einer Gaskammer getötet wurden. Ebenfalls stammt von hier ein Teil der Täter, die in den späteren Vernichtungslagern des Holocaust auf dieselbe Art und Weise deutsche und europäische Juden ermorden.
 
Unabdingbar für ein arbeitsteiliges Verbrechen dieser Größenordnung war die Mitwirkung einer Vielzahl von Staatsorganen und Parteiämtern, von Tätern und Helfern. In den Jahren 1939-1941 wurde das ehemalige Samariterstift Grafeneck als Tötungs- und Vernichtungsanstalt missbraucht. Die Ausstellung beschreibt die Veränderung der Anstalt, die Morde des Jahres 1940, die Opfer aber auch die Täter von Grafeneck. Verdeutlicht wird dabei die strategisch übergreifende Planung nationalsozialistischer Gewalt- und Vernichtungspolitik. So werden ab 1941/42 die Täter der „Euthanasie“ gezielt in den Vernichtungslagern des Ostens eingesetzt. Dies gilt für jeden vierten des Grafenecker Personals von 1940.
 
Eine wichtige Rolle spielt außerdem das Motiv „Gegen das Vergessen“ und der Wunsch, den Opfern historische Gerechtigkeit und Anerkennung widerfahren zu lassen: Es geht um Menschen, die von den Tätern als lebensunwertes Leben diffamiert, ihre Tötung als Gnadentod bezeichnet wurde. Erst nach 1990 begann die Suche nach den Namen der Opfer, bis heute ein konkreter wie ein symbolischer Akt: Steht doch jeder einzelne Name für ein ganz individuelles Lebensschicksal.
 
Die Suche nach den in Grafeneck getöteten Tuttlinger Einwohnerinnen und Einwohner hat bisher 33 Namen und Schicksale ans Tageslicht gebracht. Zwei weitere wurden nachweislich 1941 in der Tötungsanstalt Hadamar umgebracht, eine Frau fiel wohl der „wilden Euthanasie“ 1942 zum Opfer, und zu einer Person fehlen noch die näheren Angeben. Alle Informationen, die bisher zu diesen Menschen gefunden wurden, können in der Ausstellung nachgelesen werden. Die Biografien werden durch Bilder und Dokumente illustriert.
 


INFO:
Die Ausstellung „Grafeneck 1940 - Geschichte und Erinnerung“ ist im Fruchtkasten in der Donaustraße 50 vom 24. Mai bis 19. Juni 2016 jeweils Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sonntag von  14 bis 17 Uhr zu sehen. Die Eröffnung findet am 23. Mai 2016 um 19 Uhr im Foyer des Rathauses statt.