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Ein Klassiker der zeitgenössischen Kunst: Jürgen Brodwolfs „Zeitschichten“ in der Galerie


Mit Jürgen Brodwolf stellt die Galerie der Stadt Tuttlingen einen Klassiker der zeitgenössischen Kunst vor. Die retrospektiv angelegte Ausstellung mit dem Titel „Zeitschichten“ zeigt das weite künstlerische Spektrum des Künstlers: Zeichnung, Malerei, Objektkunst, Skulptur und Installation.

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Jürgen Brodwolf, Zeitschichten, 2013, Reliefbild. Foto: Bernhard Strauss, Freiburg.

Begonnen hat Brodwolfs künstlerische Laufbahn  Ende der fünfziger Jahre mit der informellen Malerei. Der Anblick von ausgedrückten Farbtuben bei der Arbeit im Maleratelier führte 1959 zur bahnbrechenden Entdeckung der Tubenfigur. Die leere Farbtube, seither so etwas wie ein Markenzeichen seiner Kunst, enthielt für Brodwolf  in der zufälligen, unabsichtlichen Verformung figurative Züge, die dem Ur- und Vorbild seiner inneren Figur entsprachen. Brodwolfs Tubenfiguren und deren Nachfolger, die Bleimantel-Torsi und mumienhaften, bandagierten Figuren bis hin zu den Pappmachéfiguren, leben aus dem Verweis auf das Fragmentarische und Transitorische.

Auch die Zeichnungen behandeln - in Tusche, Bleistift, Aquarell - das Thema der Figur und erzählen auf poetische Weise vom menschlichen Leben und  seiner Bedrohung. Das Zeichnen hat bei Brodwolf einen tagebuchähnlichen Charakter und ist eine wichtige Basis seines Lebens und Arbeitens. Die Installation „Archiv der Zeichnungen“(1992/2000), ein großes Regal mit insgesamt 180 individuell herausnehmbaren Zeichnungen, gibt einen Rückblick über drei Jahrzehnte  seines Schaffens.

Entsprechend dazu vermitteln die "Figurentypologie" (2014) mit Figuren der Jahre 1959 bis 2014 sowie das "Archiv der Objekte" (2002), ein Werkspeicher mit Objekten von 1965 bis 2002, einen Einblick in die Entwicklung des figürlichen Schaffens.

Immer steht bei Jürgen Brodwolf der Mensch im Zentrum. Mit seinen beiden bekannten Installationen „Wunde/ Theresienstadt“ (1994) und „Cato/ Das Lesezimmer“ (2010) möchte er dem Gedenken an die unvorstellbaren menschliche Schicksale im Dritten Reich dienen. Die im Obergeschoss der Galerie gezeigte Rauminstallation „Die Flut“ (2008) mit gestrandeten Figuren, ruft hingegen auf einfühlsame Weise die Erinnerung an Bilder von den  Flüchtlings- und Flutkatastrophen hervor.

Die in neuerer Zeit entstandenen Reliefbilder „Zeitschichten“ (2013) nehmen auf neue Art und Weise das Element bislang nicht dagewesener kräftiger Farbe als Ausdrucksmittel auf. Inhaltlich gesehen sind es künstlerische Selbstreflektionen, die von der besonderen und lebhaften Beziehung des Künstlers zur Figur handeln.

Jürgen Brodwolf (geb. 1932 in Dübendorf bei Zürich) war 1976-82 Professor an der Fachhochschule für Gestaltung in Pforzheim und 1982-94 Professor für Bildhauerei an der Staatlichen Akademie der bildenden Künste Stuttgart. Er erhielt u. a. folgende Auszeichnungen: Hans-Thoms-Preis des Landes Baden-Württemberg (1981), Kunstpreis der Stadt Darmstadt (1986), Kunstpreis der Stadt Stuttgart (1989), Kunstpreis der Künstler, Düsseldorf (1993), Erich-Heckel-Preis (2011). Brodwolf war bereits in vielen prominenten  Kunstereignissen vertreten, u. a. an den folgenden Orten: documenta 6, Kassel (1977), Kunsthaus Zürich (1979), Aperto 82, Biennale Venedig (1982), Martin-Gropius-Bau, Berlin (1990), Museum für zeitgenössische Kunst Oslo (1991), Staatgalerie Stuttgart (1997 und 2001).

Der Künstler wird sich für ein paar Tage zum  Aufbau in Tuttlingen aufhalten und ist bei der Eröffnung am Freitag, 24. Juli, 19.00 Uhr, persönlich anwesend. Die Ausstellung „Jürgen Brodwolf –Zeitschichten“ ist bis zum 13. September dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr zu sehen und wird gefördert durch die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia.