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Tuttlinger Appell:
„Folgen Sie der Vernunft, zeigen Sie Flagge“


Hier der Appell im Wortlaut:

Liebe Mitbürgerinnen, liebe Mitbürger,

fast zwei Jahre Pandemie zehren an unseren Kräften. Am meisten trifft es alle, die Tag für Tag in Kliniken und Praxen gegen Corona ankämpfen – und vor allem jene, die persönlich unter der Pandemie leiden müssen: die schwer erkrankt sind, mit Folgen der Infektion kämpfen oder geliebte Menschen verloren haben.

Aber auch bei allen anderen schwindet die Geduld. Nicht jede Maßnahme ist schlüssig, nicht jede Entscheidung nachvollziehbar. Unser Leben ist nach wie vor eingeschränkt, viele haben existentielle Probleme.

Vor diesem Hintergrund haben wir für vieles Verständnis - aber nicht für alles.

  • Wir haben kein Verständnis dafür, dass bewusst wissenschaftliche Erkenntnisse geleugnet oder ignoriert werden – sei es mit Blick auf Impfungen, sei es mit Blick auf die Schutzmaßnahmen.
  • Wir haben kein Verständnis dafür, dass Bürgerinnen und Bürger, die sich für gemäßigt halten, es plötzlich normal finden, im Schulterschluss mit Extremisten auf die Straße zu gehen.
  • Und wir haben kein Verständnis dafür, dass unser Staat verächtlich gemacht und vorgeführt wird, dass unsere Demokratie als Unrechtsstaat bezeichnet und mit der Nazi-Diktatur oder der DDR gleichgestellt wird.

Dies aber geschieht seit Wochen im Umfeld der sogenannten „Spaziergänge“, die auch - wenn auch noch in moderater Form - in Tuttlingen regelmäßig stattfinden.

Genau betrachtet handelt es sich bei den „Spaziergängen“ um nicht genehmigte und somit illegale Demonstrationen. Die Initiatoren wissen dies sehr wohl. Und sie machen es bewusst. Es ist ihr Ziel, den Staat bloßzustellen.

Auf ein formelles Verbot der „Spaziergänge“ hat die Stadt Tuttlingen dennoch bislang verzichtet. Denn in unserem Land sind Meinungsfreiheit und das Gebot der Verhältnismäßigkeit nach wie vor hohe Güter. Genau das unterscheidet uns von einer Diktatur.

Daher appellieren wir lieber an Sie alle: Folgen Sie der Vernunft, informieren Sie sich seriös, haben Sie Verständnis dafür, dass wir derzeit in einer Situation leben, die sich niemand ausgesucht hat und aus der wir nur gemeinsam wieder herauskommen. Und zeigen Sie Flagge: Machen Sie deutlich, dass sich unsere freie, demokratische und an Vernunft und Wissenschaft orientierte Gesellschaft nicht spalten lässt. Werden Sie aktiv – auf eine kreative und der Pandemie angemessene Weise.Nehmen Sie Ihre Rolle als kritische und bewusste Bürgerinnen und Bürger wahr.

Auch diese Pandemie wird irgendwann vorbei sein. Wie lange dies noch dauert, liegt nicht zuletzt an uns. Aber denken wir auch schon an die Zeit danach – und tragen wir alle dazu bei, dass wir nach der Pandemie wieder in einer Gesellschaft leben können, in der wir uns alle gegenseitig in die Augen sehen können.

Michael Beck, Oberbürgermeister
Emil Buschle, Erster Bürgermeister

Für den Gemeinderat:
Hans-Peter Bensch, Thomas Biehler, Rainer Buggle, Sevinc Camlibel, Ulrich Diener, Hellmut Dinkelaker, Axel Enslin, Renate Gökelmann, Felicitas Guggenberger, Till Haendle, Daniel Häßler, Jürgen Hau, Susanne Hein, Prof. Dr. oec. Thomas Kattler, Joachim Klüppel, Fabia Koloczek, Bodo Kreidler, Dr. med. Ulrike Martin, Heidi Mattheß, Dieter Müller, Manfred Mußgnug, Katja Rommelspacher, Frieder Schray, Uwe Schwartzkopf, Hans-Martin Schwarz, Michael Seiberlich, Dr. med. Cornelia Seiterich-Stegmann, Karin Trommer

Für die Stadtverbände für Musik und Sport:
Matthias Kremer, Ulrich Trommer

Für die Kirchen und Moscheevereine:
Dekan Sebastian Berghaus (Evangelische Kirche), Fabian Burghardt (Islamische Gemeinschaft der Bosniaken), Elisabeth Kodweiß (Evangelisch-methodistische Kirche), Dekan Matthias Koschar (Katholische Kirche), Martin Schrott (Apis - Evangelischer Gemeinschaftsverband)