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Kulturpreis an Siegfried Burger - 24. November 2008


Sehr geehrte Damen und Herren,

ich darf Sie zu einem Abend begrüßen, der Bildende Kunst und Musik verbindet – ein Abend in den Räumen der Galerie der Stadt Tuttlingen, wo wir seit Freitag die diesjährige Weihnachtsausstellung erleben dürfen. Ein Abend aber auch, an dem ein der herausragendsten, wenn nicht die herausragendste Musikerpersönlichkeit unserer Stadt schlechthin, im Mittelpunkt stehen wird.

Ich freue mich, dass so viele Gäste mit dabei sind. Besonders begrüßen will ich als Vertreter der Politik unseren Landtagsabgeordneten Fritz Buschle. Auch Politik, lieber Herr Buschle, kann ja durchaus künstlerische Formen annehmen – wobei man allerdings oft nicht weiß, ob man es mit Biedermeier oder Surrealismus zu tun hat.

Für die Kirchen darf ich Generalvikar Cle-mens Stroppel und Dekan Frank Morlock willkommen heißen. Sie ehren mit ihrer Anwesenheit einen Musiker, in dessen Schaffen die Kirchenmusik stets eine ganz besondere Rolle spielte.

Ich freue mich, meinen Vorgänger im Amt des Oberbürgermeisters, Heinz-Jürgen Koloczek mit seiner geschätzten Gattin, willkommen zu heißen. Ebenso begrüße ich die Vertreter des Gemeinderates – die sich übrigens einstimmig für die Verlei-hung des Preises ausgesprochen haben.

Ein herzlicher Gruß gilt auch den zahlreichen Künstlern und Musikern, die heute unter uns sind. Wir sehen hier auf engstem Raum ein Who-is-who der kulturellen Szene unserer Region.

Stellvertretend für alle möchte ich hier Roland Martin begrüßen. Er erhielt vor einem Jahr den Kulturpreis und eröffnete somit eine Reihe, die wir heute fortsetzen dürfen

Sehr geehrte Damen und Herren,

Sie alle sind gekommen, um mit dem Mann zu feiern, den ich zusammen mit seiner Familie ganz besonders herzlich begrüßen will: Den Mann, den wir heute mit dem Kulturpreis der Stadt Tuttlingen ehren wollen:

Siegfried Burger.

Was wäre eine Würdigung für einen Komponisten ohne dessen Musik? Aus diesem Grund ist der heutige Abend bewusst als musikalische Soirée gestaltet – eine Soi-rée, die uns gleichzeitig durch das Werk von Siegfried Burger führen wird. Gleich werden wir die ersten Werke hören. Es musiziert das Baynov Piano Ensemble. Leider wird Professor Tomislav Baynov heute aus gesundheitlichen Gründen nicht unter uns sein, an seiner Stelle hören wir Daniela Manusardi, die gemeinsam mit Sachi Nagaki und Jean-Christophe Schwerteck mehrere Werke von Siegfried Burger zu Gehör geben wird. Die Erläuterungen dazu gibt uns Professor Erich We-ber.

MUSIK – BLOCK 1


Meine Damen und Herren,

wir hörten Werke von Siegfried Burger, interpretiert durch das Baynov-Ensemble.

Wir hörten Werke, komponiert von einem Menschen, der das Musikleben in unserer Stadt mindestens genau so prägte, wie die Musik ihn selbst prägte. Und im Falle von Siegfried Burger bedeutet das einiges.

Lassen Sie es mich anhand einer Anekdo-te verdeutlichen: Als Siegfried Burger am Ostermontag 1960 seine Ehefrau Inge zum Traualtar führte, war für ihn eines klar: Das Te Deum, das aus diesem Anlass gesungen wird, komponierte er natürlich höchstselbst. Und als das Brautpaar dann die Heilige Kommunion empfangen sollte, geschah etwas, das Pfarrer wohl höchst selten erleben: Der frisch getraute Bräutigam verließ die Braut, stieg auf die Empore – damit er rechtzeitig beim Kir-chenchor ist, um diesen dirigieren zu können. Schließlich handelte es sich um eine Uraufführung. Und bei der kann ein Tonsetzer schlecht den Taktstock in fremde Hände geben.

Ich bin sicher, dass Inge Burger ihrem Mann schnell verziehen hat. Denn eines musste ihr schon vor der Hochzeit klar sein: Wer Siegfried Burger heiratet, heiratet einen Musiker. Und zwar einen mit Leib und Seele.

Die Musik zieht sich als Grundmelodie durch Siegfried Burgers gesamtes Leben. Lassen Sie uns gemeinsam einen kleinen Blick zurück werfen.

1925 kam Siegfried Burger in Tuttlingen zur Welt. Die Eltern stammten aus Bayern – und mit des Vaters Geburtsort Benediktbeuern verbinden sich einige der schöns-ten Kindheits- und Jugenderinnerungen Sigfried Burgers. Denn in Benediktbeuern gibt es eine schöne barocke Klosterkirche – und in der wurde natürlich die Kirchenmusik gepflegt. Und der junge Siegfried Burger freute sich schon wochenlang auf die Ferien, weil er dann wieder in der Kirche den Musikern zuhören konnte. Und als er später als Jugendlicher selbst mit der Geige zu den Kirchenmusikern in Benediktbeuern stoßen durfte, ging für ihn ein Traum in Erfüllung.

Meine Damen und Herren,
wir erkennen also zwei Dinge: Siegfried Burgers Liebe zur Musik begann in frühester Jugend. Und in Tuttlingen muss es damals mit der Kirchenmusik nicht weit her gewesen sein.

Für Siegfried Burger blieb die Musik in diesen Jahren ein Hobby. Denn seine be-rufliche Laufbahn begann er als Uhrmacher im elterlichen Uhrengeschäft. Zwar begann er im Alter von 21 Jahren ein Studium an der Musikhochschule in Trossin-gen – allerdings war er nur Teilzeitstudent: Drei Tage in der Woche war er an der Hochschule, den Rest der Zeit arbeitete er weiter im Familienunternehmen. Und zu-nächst sah es auch so aus, als ob das auch der Hauptberuf bleiben sollte: Denn nach der Währungsreform 1948 gab Siegfried Burger das Studium auf, absolvierte die Meisterprüfung als Uhrmacher und übernahm 1951 auch das Geschäft.

Erst 1954 führte ihn sein Weg wieder an eine Musikhochschule - diesmal in Köln. Dort studierte er Violine, Komposition und Theorie. Doch die Liebe zu Tuttlingen sorgte dafür, dass er schon 1958 zurück in die Heimat kehrte und 1958 Lehrer am Gymnasium Tuttlingen wurde – eine Aufgabe, die er bis zu seiner Pensionierung wahrnahm.

Doch Siegfried Burger war nie nur ein Lehrer. Und schon gar kein Lehrer, der den Beruf vor allem mit Blick auf die langen Sommerferien gewählt hat. Er wollte immer etwas im Menschen bewegen, sie zur Musik hinführen. Er sah es als seine Auf-gabe, ihnen die Augen und vor allem Ohren zu öffnen - auch zu ungewohnten Klangwelten, vor allem auch zur Neuen Musik. Siegfried Burger ist ein Kultur-mensch, ein Schöngeist – und es war ihm immer ein Bedürfnis, anderen Menschen den Weg dorthin zu ebnen. Ihre Sinne für Höheres zu schärfen – und gegenüber Schülern und Chormitgliedern kannte er einen kategorischen Imperativ: „Veredelt Euch“.

Zu dieser Veredelung trug Siegfried Burger an den verschiedensten Orten bei. Denn neben seiner Tätigkeit als Lehrer war er außerdem Lehrer für Gehörbildung und Musiktheorie an der Trossinger Musikhochschule. Vor allem aber war er ein Musikpädagoge, dessen Wirken in der ganzen Stadt zu spüren war:

- 40 Jahre lange leitete er den St. Gallus Jugendchor und die St. Gallus-Spatzen

- Über 30 Jahre dirigierte er den Kirchenchor von St. Gallus und Maria Königin

- Und als Kritiker für den Gränzboten rezensiert er bis heute Konzerte und vermittelt so Verständnis für Musik in der breiten Bevölkerung.

Vor allem durch seine Dirigententätigkeit prägte er ganze Generationen Tuttlinger Sänger und Musiker. Er legte größten Wert auf Präzision und forderte seinen Sängerinnen und Sängern viel ab. Er er-wartete, dass sie die Sache mit dem glei-chen Ernst angehen, wie er selber. Und Nachlässigkeit konnte ihn durchaus auch zornig machen. Seine wütendes „Hei no, aber au’“ dürfte vielen Chorsängerinnen und –sängern noch im Gedächtnis sein.

Dieser Ernst und diese Zielstrebigkeit zahlten sich aber aus. Und Siegfried Burger kann stolz sein, dass viele seiner ehemaligen Sänger später selber die Musik zum Beruf machten – darunter Größen wie die Opernsängerinnen Marlis Petersen, Doris Soffel und Dorothea Wirtz.

Siegfried Burger legte so den Grundstein für andere Musikerkarrieren. Und das war möglich, weil er in der Rolle des Chorlei-ters aufging. Sie war Teil seines Lebens – auch seines Familienlebens. So war es zum Beispiel für die Familie Burger über viele Jahre Brauch, dass der Sommerurlaub auch gleich mit einer Chorfreizeit verknüpft wurde. Oder dass Feste wie Weihnachten oder Ostern ein eng getaktete Abfolge von Messen, Familienfeiern und Hausmusik waren.

Für so ein Leben benötigt man natürlich auch einen Menschen an der Seite, der dafür Verständnis und vor allem auch Zeit aufbringt – Zeit für die Familie, Zeit für die sechs Kinder. Seiner Frau Inge Burger gebührt daher Dank und Anerkennung.

Doch die Familie wurde von Siegfried Burger auch reich beschenkt – mit Geschen-ken, wie sie vermutlich nur wenige Väter und Ehemänner machen. So war es zum Beispiel über viele Jahre hinweg guter Brauch, dass es zu jedem Geburtstag einen ganz persönlichen Kanon für das Geburtstagskind gab. Genauso, wie es kein Neujahrsfest gab, das Siegfried Burger nicht mit einer speziellen Komposition be-reicherte. Und an Ostern kamen auch viele Freunde in den Genuss einer jahreszeit-lich geprägten Komposition: Die Ostereierkanons, kleine Kompositionen, notiert di-rekt auf dem Ei, sind legendär.

Wie viele davon erhalten sind, ist nicht bekannt – denn Eierschalen sind nun nicht gerade das ideale Material, um einen Autographen über die Jahrhunderte zu retten. Genauso wie auch niemand weiß, wie viele Kompositionen Siegfried Burger im Laufe seines Lebens denn schon geschrieben hat. All diese Miniaturen, diese Freunden, Verwandte und Weggefährten gewidmeten Kunststücke - sie zu zählen hat auch der Künstler selber aufgegeben.

Diese Flüchtigkeit der Kunst macht Siegfried Burger dann ab und zu auch nach-denklich. Und im Gespräch mit Hans-Uwe Hähn, dem Leiter unserer Jugendkunst-schule, ließ er einmal einen Anflug von Wehmut anklingen: Seine Musik verflüchtige sich – während die Bildende Kunst Bestand habe.

Sehr geehrter Herr Burger,

ich kann Sie hier beruhigen. Ihre Musik hat Bestand. Und es sind nicht nur die großen Werke wie Cantus III, sondern auch die Vielzahl kleinerer Kompositionen, die so eng mit Menschen und Ereignissen verknüpft sind. Sie haben ihre eigene Ge-schichte – wirken als autonomes Kunstwerk aber auch ohne diesen Kontext.

Über Siegfried Burgers Musik werden wir nachher aus berufenem Munde noch mehr erfahren. Mir ist es daher um so wichtiger, Siegfried Burger als Menschen und Bürger unserer Stadt zu würdigen.

Er ist ein Mensch, der mit einem großen Talent gesegnet ist, dies aber auch immer mit großer Freude weiter gab. Und das macht ihn zu einem durchaus zufriedenen Menschen. Er ist ein Mensch, der in sich ruht, der eins ist mit der Welt.

Er ist ein Mensch, der sich mit Leib und Seele den Künsten verschrieben hat. Der aber auch immer das Bedürfnis verspürt hat, den Künsten zu ihrem Rang zu ver-helfen. Diese Haltung lebte und lebt er in vorbildlicher Weise vor – als Musikpäda-goge, als Komponist, als Kritiker – als Bürger unserer Stadt.

Siegfried Burger hat unserer Stadt viel gegeben. Und es ist mir ein Bedürfnis, ihm in Form des Kulturpreises etwas zurück zu geben:

Der Kulturpreis ist – wie könnte es anders sein - ein Kunstwerk. Es ist eine graphi-sche Arbeit vom Ralf Behrendt. Und obwohl Behrendt mittlerweile in Berlin lebt, trägt das Werk einen Titel, dessen Hinter-sinn man wohl nur in Tuttlingen so richtig begreifen kann: Es heißt „Hinterm Bild“.

Der Siebdruck fügt Fotos und Filmschnipsel mit Tuttlinger Motiven zusammen, hin-terlegt ist ein Text von Caspar David Friedrich über die Reinheit des Kunstwerks. Auf diese Weise überlagern sich die verschiedensten Bedeutungsebenen. Wir werden zur Reflexion über Kunst ermutigt, aber sind gleichzeitig eingeladen, den Assoziationen zu folgen, die die Bilder bei uns erwecken. Wir sind eingeladen, die Bilder zu finden, die sich „hinterm Bild“ verbergen.

Sehr geehrter Herr Burger,

im Namen der Stadt Tuttlingen darf ich Ihnen herzlich zum Kulturpreis 2008 gratu-lieren. Ich freue mich mit Ihnen – und noch auf viele Kompositionen von Ihnen.