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Über 30 Tuttlinger wurden in Grafeneck ermordet - Ausstellung erinnert an Krankenmorde der NS-Zeit


10 654 Menschen wurden zwischen Januar und Dezember 1940 in der Tötungsanstalt Grafeneck von den Nationalsozialisten ermordet. Über 30 davon stammten aus Tuttlingen. Eine Ausstellung im Fruchtkasten erinnert an ihr Schicksal. Eröffnet wurde die Ausstellung am Vorabend der Verlegung der ersten Tuttlinger Stolpersteine.
 
„Die Zeitzeugen werden immer weniger,  umso wichtiger ist es, dass wir die Erinnerung wach halten – sei es durch Ausstellungen wie diese, sei es durch Stolpersteine“, erklärte OB Michael Beck bei der Eröffnung im Rathausfoyer. Dass die Ausstellung vor allem die Tuttlinger Einzelschicksale in den Mittelpunkt stellt, hob Beck besonders hervor: „Sie machen die Geschichte deutlicher als Zahlen und Statistiken“, so der OB, „wer sich mit diesen Schicksalen auseinandersetzt, müsste eigentlich - insofern er auch nur eine Mindestmaß an Empathie verfügt -  immun sein gegen menschenverachtende Parolen.“ Die Aufarbeitung der NS-Zeit sei vor dem aktuellen Hintergrund rechtspopulistischer bis offen rechtsextremer Tendenzen besonders wichtig. „Ich fordere Sie daher auf, bei jeder Gelegenheit Farbe zu bekennen“, so Beck.
 
Drei der ersten fünf Stolpersteine und auch die Ausstellung widmen sich dabei einem Thema, das lange im Hintergrund stand und oft auch von Angehörigen der Opfer eher gemieden wurde: Die Morde an Kranken und Behinderten durch die Nazis. „Dieses Thema wurde lange nicht beachtet“, sagte Franka Rößner vom Dokumentationszentrum Grafeneck im Interview mit Museumsleiterin Gunda Woll, „dies sagt auch viel über den Stellenwert von Behinderten.“ Ausführlich schilderte Rößner die Geschichte der Tötungsanstalt, in der fern abgelegen auf der Schwäbischen Alb auf besonders   grausame Weise Geschichte geschrieben wurde: In Grafeneck wurden zum ersten Mal Menschen in einer Gaskammer ermordet: „Es war der erste Ort der industriellen Menschenvernichtung“, so Rößner.
 
Seit 1990 wird die Geschichte des Sanatoriums, das zum Ort des Massenmordes wurde, in einer Gedenkstätte aufbereitet. Mittlerweile gehört sie zu den meistbesuchten Gedenkstätten Baden-Württembergs.  Auch in der aktuellen Tuttlinger Ausstellung nimmt auch hier der individuelle Ansatz über Einzelschicksale breiten Raum ein: „Wir wollen die Wege der Opfer nachzeichnen“, so Franka Rößner, „aber auch die  Frage stellen, wer diesen 1000-fachen Massenmord organisierte, wer die Menschen waren, die am Gashahn standen.“
 
INFO:
Die Ausstellung ist noch bis zum 19. Juni immer dienstags, donnerstags, samstags und sonntags von 14 bis 17 Uhr geöffnet.
 

Eröffneten die Gedenkausstellung im Fruchtkasten (von links): Stadtarchivar Alexander Röhm, Museumsleiterin Gunda Woll, OB Michael Beck, Franka Rößner vom Dokumentationszentrum Grafeneck.